Stimmen in der Literatur zur Ausmalung des kleinen Treppenhauses in der Hamburger Kunsthalle durch Wolfgang Klähn:
Die Macht des persönlichen Geschmacks - Ein einst gefeiertes Wandgemälde von Wolfgang Klähn in der Hamburger Kunsthalle wird seit Jahrzehnten verhüllt
Das kleinste der fünf Treppenhäuser in der Hamburger Kunsthalle ist 1952 mit einer Wandmalerei geschmückt worden, die damals Aufsehen erregte. Der Kunsthallendirektor Carl Georg Heise hatte in der Tradition Alfred Lichtwarks mit dem 22jährigen Hamburger Wolfgang Klähn einen ganz jungen Künstler ans Haus binden wollen und ihn mit dem Auftrag ausgezeichnet. Nach der Enthüllung des Werkes in Gegenwart von Bundespräsident Heuss war klar, daß Heise und seinem Assistenten Martin Gosebruch, der den Künstler vorgeschlagen hatte, eine Entdeckung gelungen war. Der bekannte abstrakte Maler Georg Meistermann sagte zu Klähn: "Junger Mann, werden Sie nicht größenwahnsinnig, aber dies ist die beste Wandgestaltung seit dem Krieg." Der Münchner Großkritiker Franz Roh sah ihn als bedeutenden Maler am Beginn seiner Laufbahn, und schon im folgenden Jahr hatte Klähn seine erste Museumsausstellung in Hannover. Das war nun einigen älteren Hamburger Künstlern doch zu schnell gegangen, und man wird Emil Maetzel nicht unrecht tun, daß ihn nicht nur die starke, leuchtende Farbigkeit des Wandbildes störte, sondern auch die steile Karriere des jungen Kollegen ungerecht und unverdient erschien. Man möchte es heute nicht glauben, aber die intensiv strahlenden Farben waren ein Problem, nachdem Maetzel sich beklagt hatte, daß seine Ausstellung - in den Räumen für Hamburger Künstler, zu denen damals der Aufgang führte - zu matt wirke. Der Nachfolger Heises, Alfred Hentzen, entschied sich dann für die Verhüllung der Wand - das Urteil darüber sollte eine spätere Zeit fällen.
Inzwischen kann dem in Blankenese lebenden Wolfgang Klähn (74) weder seine Jugend noch mangelnde Anerkennung vorgehalten werden. Unter den heute lebenden Künstlern gilt ihm der längste Artikel im renommierten Kindler-Lexikon, seine Kunst wurde in etlichen Museen ausgestellt (zuletzt 1999 im Schloß Gottorf), bekannte Kunsthistoriker der Universitäten und Museen haben sich geradezu enthusiastisch über die erneuernde Kraft seiner Kunst geäußert. Eine neue Sprache, ein wirklich eigener Weg erregt freilich stets auch Befremden.
Klähn hat die Wände des Treppenhauses mit rhythmischen abstrakten Formen versehen, die den Aufstieg der Treppe begleiten. Auf dem Absatz steigen diese Formen in zwei Kolonnen auf. Hier, wo sie sich den Einwirkungen einer Himmelssphäre aussetzen, wird deutlich, daß es nicht um reinen Dekor geht: Starre und zellenartige, schwingende Formen alternieren, und am Fußpunkt überlagern sich zwei Zellen in biologischer Vereinigung und bilden einen neuen Kern, der dämonisch wie ein Zyklopenauge hervorleuchtet. Von dem Wandbild gibt es keine Farbaufnahmen. Seine Farben müssen aus dem etwa gleichzeitig gemalten Aquarell aus dem Besitz der Kunsthalle "Zeugen und Gebären im Schönen zu Geist" erschlossen werden. Hier findet sich auch die Vereinigung der Zellen am Fußpunkt, das Aufsteigen einer Sichelform und das unter Einwirkung eines roten Pfeils von außerhalb aufleuchtende rote Auge. Das Thema von Klähns Kunst ist seit diesem Beginn die Darstellung des Lebens von innen her, beginnend mit der biologischen Zelle. In der Entwicklung seiner Bilder hat er die Evolution der Natur begleitet - nie die Naturformen direkt abgebildet, aber ihren Gesetzen entsprechend das Leben in sinnlich packender Sprache wachsen lassen und so dessen Kostbarkeit gefeiert.
Davon spricht er selber in der soeben erschienen DVD "Lebenswerdung. Wolfgang Klähn und sein Wandbild im Kleinen Treppenhaus der Hamburger Kunsthalle" (€ 15.-, Bestellungen über www.wolfgang-klaehn.de). Basierend auf einem NDR-Beitrag von 2001 von Beatrice Schaechterle wird die Geschichte des Wandbildes erzählt und um ein ausführliches Interview mit dem Künstler ergänzt. In hervorragender Kameraführung wird Klähn beim Malen gezeigt, und die wiedergegebenen Bilder zeigen eindrucksvolle Details seiner Figurenbilder und Syltlandschaften. Kunsthallendirektor Uwe M. Schneede kommt zu Wort und erklärt, daß "die dekorative Ausmalung heute nicht besonders inspirierend" sei und an eine Aufdeckung der Wand derzeit nicht gedacht sei, dies sich aber ändern später könne: "Das Interesse der Nachfolger kann stärker sein als mein Interesse." Bereits 1989 hatte Martin Gosebruch in der WELT geschrieben: "... ein außerordentliches Werk, von dem einmal gesagt werden wird, es habe Epoche gemacht. Auch die Hamburger Kunsthalle wird es eines Tages wiederentdecken, welcher Schatz sich in ihren Räumen verbirgt."
Thomas Gädeke, in: Welt am Sonntag v. 22.02.2004
Schon sein Erstlingswerk hat 1952 Furore gemacht. Erstaunlicherweise beauftragte Carl Georg Heise damals den 22jährigen Künstler, das kleine Treppenhaus der Hamburger Kunsthalle mit einem Wandgemälde zu versehen. Das ausgeführte Wandbild erregte große Bewunderung bei Betrachtern wie Georg Meistermann und Franz Roh - wurde aber dennoch nach einigen Jahren wieder verhüllt, nachdem sich Einwände gegen die Intensität seiner Farbigkeit durchsetzten. Man wird fragen dürfen, ob das Werk nicht wieder zu sehen sein sollte, zumal sich der Farbengeschmack geändert hat und aus dem unbekannten Anfänger ein Maler mit solchem Renommee wurde, daß man im Kindler-Lexikon seinen Eintrag als den umfangreichsten eines heute lebenden Malers wahrnimmt.
Thomas Gädeke, 1999
Das Hamburger Wandbild enthält konstruktive Elemente wie Dreiecke, Rauten und Sechsecke, aber auch die schwingenden Formen organischer Zellen. Diese sind zu aufsteigenden Ketten geordnet. Bereits in diesem Anfangswerk beginnt Klähn mit der überlagernden Malweise, die nicht einfach als Lasurtechnik zur Heraufführung von Körperlichkeit und Leuchtkraft in der Farbe zu benennen ist, sondern auch inhaltlich genutzt wird. Auf dem Treppenabsatz bemerkt man die Verschmelzung von Zellen, die als lebendigen Kern ein dämonisch aufleuchtendes Auge sehen läßt. Hier beginnt der Künstler den Entwicklungsgang seiner Bilder, die bis „Weltsamen“ in einem Atelier in der Hamburger Kunsthalle entstehen.
Thomas Gädeke, 1999
So konnte der Künstler zweiundzwanzigjährig Carl Georg Heise, den Direktor der Hamburger Kunsthalle, so sehr begeistern, daß dieser ihn ein ganzes Treppenhaus ausmalen ließ. Über die ausgeführte Wandmalerei sagte Georg Meistermann: "Junger Mann, werden Sie nicht größenwahnsinnig, aber dies ist die beste Wandgestaltung seit dem Krieg..."
So wuchs in einem buchstäblich-organischen Sinn die Reihe seiner Bilder heran. Am Anfang stand das erwähnte Wandbild in der Hamburger Kunsthalle, das wegen der starken Leuchtkraft seiner Farben nach einigen Jahren in den Streit geriet und - verständlich in einer Zeit, in der mit vornehmlich mit Weiß abgedämpften Farben tachistisch gemalt wurde - so zum Ärgernis wurde, daß man es verhüllt hat.
Thomas Gädeke, 1992
Im Jahre 1952, als gerade das Informel mit riesigen Leinwänden aus den USA den europäischen Markt überschwemmte, war es doch sehr merkwürdig, daß Wolfgang Klähn von C. G. Heise den Auftrag bekam, in der Hamburger Kunsthalle ein Wandbild zu malen. Es hat auf alle, die es damals sahen, großen Eindruck gemacht. Nur in den "Stil der Zeit" mochte es nicht passen. Es ist später mit Leinwand überspannt worden und harrt seiner Wiederentdeckung.
Martin Gosebruch, in: "Die Welt" 1990
Das zentrale Bild auf dem Treppenabsatz zeigt die fruchtbar Leben zeugende Verschmelzung zweier Zellen am Fußpunkt, aus der ein geradezu dämonisch leuchtendes Zyklopenauge blickt. Die aus dieser Vereinigung hervorgehenden starkfarbigen Zellen steigen in zwei Ketten sehr wirkungsvoll vor dem schwarzen Grund auf. Der sie überwölbende Bogen trennt eine Art Himmelssphäre ab, aus der Kräfte von außen einwirken. Auf dieses Bild hin führt eine der Ketten geometrischer Formen, die den Aufstieg der Treppe begleiten. Diese Kette durchdringt das Hauptbild, um dem Aufstieg des zweiten Treppenarmes zu folgen und schließlich einen Pfeiler zu schmücken. In den drei weiteren Ketten geometrischer Formung, die vom Fuß der Treppe aufsteigen, wird die kantige Starre der Form schon zunehmend gelöst und in Schwingung versetzt, als sollte der Zellenform präludiert werden. Diese Ketten führen mit stracken Keilen und auch mit weichen Rundformen in zwei Pyramiden über, die sie anzugreifen, aber nicht aufzubrechen vermögen. Wie gläserne Berge sind sie von kristalliner Form und herrlicher Leuchtkraft der fein abgestuften Farben. Klähn beginnt bereits an dieser wichtigen Anfangsstelle seines Werkes, die Farben und die Formen durchsichtig übereinander zu legen. Das einander Durchdringende, Doppel- und Vielsinnige wird ihm in seiner Aussagemöglichkeit so wichtig bleiben, wie das Malen in präzisen, deutlich erkennbaren Schichten von ihm zu handwerklicher Meisterschaft geführt wird.
Wolfgang Klähn hat seine Laufbahn als Gestalter der Wand- und Deckenmalerei im kleinen Treppenhaus der Hamburger Kunsthalle mit Werken begonnen, die für seine weitere Entwicklung richtungweisend wurden. Auch hat es an äußerer Anerkennung für dieses Werk nicht gefehlt. Georg Meistermann nannte es spontan die beste Wandgestaltung seit dem Krieg, und einem Kritiker wie Franz Roh versprach es den Anfang zu einer bedeutenden Weiterentwicklung. Bereits dieses frühe Werk verrät Vertrautheit mit der Architektur in ihrem Wesen. Da wird der Weg des Aufstiegs auf der Treppe durch Ketten von Keilen und Sechsecken rhythmisiert. Und diese Kette wird durch das Hauptbild auf dem Treppenabsatz hindurch zu einem abschließenden Pfeiler geführt. Das Ausbreiten der aufsteigenden Ketten auf der ersten Treppenwand, aber auch deren Eindringen in die neue Zone der gläsernen Berge oberhalb des Treppenaufstiegs, in der die Aufstiegsdynamik verwandelt und beruhigt wird, bezeugen das sehr genaue Eingehen auf eine schwierige Raumsituation....
Bei der Erörterung der Wandmalerei darf der Bereich der Bibelzeichnungen nicht ausgelassen werden. Diese Zeichnungen thematischer Bibelereignisse ließen sich auch als Skizzen für monumentale Malerei im Kirchenraum begreifen, und zwar nicht nur in modernen Kirchen, sondern durchaus auch in mittelalterlichen Bauten. Die Figuren Klähns sind vorzüglich geeignet, sich auf Gewölbesegeln, Bogenfeldern, oder in Lunetten (etwa um romanische Fenster) auszubreiten. Jakobs Kampf mit dem Engel von 1983 und Abraham opfert Isaak von 1983 geben Beispiele, die direkt für eine Bogenarchitektur entworfen zu sein scheinen. Diese lebendige Spannung tragfester Bögen ist die eine Seite. Die andere ist die Kraft des Aufstiegs, die etwa Jakobs Traum von 1980 in der Stufung verkörpert, in der die Engel geradezu eine Jakobsleiter zu dem Schlafenden herstellen. Das erinnert nicht zufällig an die Aufstiegswand des Hamburger Wandbildes. Es gibt aber auch den steilen Aufstieg in die Höhe, wie ihn Abraham von 1983 erlebt, der sich aus der Tiefe des Raumes nach vorne zu Boden geworfen hat und über sich den aufsteigenden Engel findet. Dieses Ganze von Herabdrücken und Aufsteigen, das durch den zweiten Engel wieder zusammengefaßt wird, wäre gewiß eine großartige Anlage zur Ausmalung einer steilen Kirchenwand. Die Grunderfindung mit dem Schwerpunkt des Abraham-Kopfes am unteren Bildrand ist vom Hauptbild des Wandbildes in der Hamburger Kunsthalle nicht weit entfernt.
Thomas Gädeke, 1990
1952 war Klähn beauftragt worden, in der Hamburger Kunsthalle das kleine Treppenhaus auszumalen. Der junge Maler hat mit dem Elan seines Temperaments und der Präzision seiner Erfindung das großartige Werk geschaffen, das ihm sofort die Begeisterung der mit dem Auge Anspruchsvollen eingetragen hat, während die anderen beschäftigt blieben, Ausschau zu halten, nach Übereinstimmungen mit dem damaligen Zeitstil des art informel (nach denen sie noch lange suchen können, sofern sie sich nicht entschließen, die völlige Selbständigkeit dieses Werks einzusehen. Bevor dies geschieht seien hier einige Worte der Charakteristik versucht.) Das Treppenhaus ist ein hoher Schacht, auf dessen schwarzen Wänden die Formen in Gelb, Rot, Blau und Purpur starke Leuchtkraft gewinnen. Diese organisch wirkenden Formen, Zellen voller Lebenskraft, suchen sich und trennen sich, wie wenn ein Gesetz des Eros in ihnen waltete. Sie steigen auf in die Höhe, wie es das Thema dieses Schachtraumes ist, doch geht es nicht endlos weiter. Eine Art Kristallhimmel überfängt mit keilförmigen, in kühlen Farben gehalten Elementen diesen Aufstieg. Es geht dem Maler um eine tiefere Symbolik. Schönheit des Geistes und nicht l'art pour l'art. Die Erinnerung an Kandinskys vages Wort vom "Geistigen in der Kunst" bleibt hier fern. Eine sehr viel ältere Idee kommt im Anblick dieses lebensvollen Aufwärts in den Sinn, nämlich die des Aristoteles von der Entelechie, daß jedes Dasein sein Ziel in sich selber trage.
In der Folge wurde das Wandbild durch die Museumsleitung mit Stoff überspannt, später unter festen Rigipsplatten verborgen. Eines späteren Tages wird es neu entdeckt werden können. Bis dahin tritt an seine Stelle das Aquarell aus dem Besitz der Hamburger Kunsthalle, mit dem Titel "Zeugen und Gebären im Schönen zu Geist", dem der Künstler in seinem Werkverzeichnis die Nummer 1 gab. Etwas von der Leuchtkraft der Farben des Wandbildes wird hier erlebbar. Leuchtkraft, es sagt sich so leicht, und will doch verstanden sein. Noldes naß-in-naß gemalte Aquarelle streben das Leuchten eher auf der Oberfläche an, Klähn legt Farbschicht über Farbschicht, so daß die unteren Töne aus der Tiefe nach oben leuchten. Lasieren ist der Fachausdruck für diese Maltechnik, die die Impressionisten zu Gunsten der Allaprimamalerei verworfen hatten. Vielleicht ist Klähns Selbständigkeit und menschliche Reife durch nichts besser zu erweisen, als durch diese Entscheidung zum überdeckenden Malen, die es sich verbietet, den Temperamentsanteil beim Malen durch Farbstrudel offenzulegen. Nicht als ob das Temperament verleugnet wäre, es ist für die Darstellung der Gebärdenkraft der Figuren gebraucht und geht in diese auf.
Es hat so viele Erörterungen über das Ende der Moderne gegeben, die dann in der Postmoderne resultierte, ohne daß gezeigt worden wäre, daß es ein Ende der Moderne gegeben hätte. Diese Erörterungen sind ein Teil des Kunstbetriebes und drehen sich um sich selbst. Nicht durch die Begriffe der Intellektuellen, nur durch das Schaffen der Künstler kann sich etwas ereignen, was sich als Einschnitt in die Geschichte begreifen lässt. Klähns neue Einbindung der Farbe in den Inhalt läßt sich sehr wohl als ein Akt jenseits der Modernität auffassen. Wichtiger aber ist Klähns Tat selbst, zu der noch von anderer Seite Erklärung folgen wird.
Bevor dies am Fortgang des Klähn'schen Schaffens gezeigt werden wird, gibt es noch einen Rückgang. Denn das Wandbild in der Hamburger Kunsthalle sowie das Aquarell (WV 1) sehen nicht nach geschichtlichen Vorläufern aus. Nur im Werk Klähns selber gibt es eine vor dem Treppenhausbild entstandene kleine, sehr reizvolle Malerei, die Anklänge an geschichtliche Vorgänger verrät. Es handelt sich um "Das träumende Dorf", gemalt im August 1951. "Das träumende Dorf" bedarf keiner Analyse des Stils, es ist im Wesentlichen das, was sein Titel sagt: ein gemaltes Märchen, voller Frieden ohne Feindbild. Eine gewisse Verwandtschaft mit Märchenbildern Chagalls wie auch Paul Klees ist zu konstatieren. Zweifellos empfindet Klähn für die Welt dieser beiden Maler Sympathie. Das aber ist nur eine Verwandtschaft im Allgemeinen. Näher noch verbindet Klähn mit den Genannten die Unabhängigkeit von jeglicher kubistischer Formgebung. Dabei ist interessant, daß sowohl Chagall wie auch Klee die kubistische Formenstrenge innerhalb ihres Werkes hinter sich gelassen haben, nach anfänglicher Faszination davon.
Martin Gosebruch, 1989
Schon damals war es ein Ereignis, als 1952 der Künstler zum ersten Mal an die Öffentlichkeit trat, in bedeutendem Rahmen auch damals. Damals wurde Klähns Wandmalerei im kleinen Treppenhaus der Hamburger Kunsthalle enthüllt, ein außerordentliches Werk, von dem einmal gesagt werden wird, es habe Epoche gemacht. Was aber damals den Zeitungen als Sensation galt, war Art Informel, die Malerei der übergroßen Leinwände, die schon mit dem schieren Quantum auffallen mußte. Auch die Hamburger Kunsthalle wird es eines Tages wiederentdecken, welcher Schatz sich in ihren Räumen verbirgt.
Martin Gosebruch, in: "Die Welt" 1989
Was ich hier niederschreibe, erweckt den Eindruck, wir beide hätten als Museumsleute zueinandergefunden und miteinander gehandelt, wie zum Beispiel Max Sauerlandt und mein Vater Ernst Gosebruch seit dem Jahr 1912. So hätte es kommen können, doch meine Museumszeit ist nur kurz gewesen. Nicht als ob mir die Neigung zum Museum gefehlt hätte. Und »künstlerfreundlich«, wie Nolde meinen Vater in »Jahre der Kämpfe« genannt hat, wäre ich wohl auch gewesen. Ich war es sogar zu sehr, weshalb ich das Museum wieder verlassen mußte. Die Geschichte davon ist vielleicht etwas für Ihren Jubeltag.
Der Tritt durch die Tür
1952 holte mich Carl Georg Heise nach der Promotion an die Hamburger Kunsthalle. Eigentlich hatte ich mich in München habilitieren wollen. Dann aber war Hans Sedlmayr an die Universität berufen worden, gegen dessen Denken ich bei großem Respekt Widerstände spürte, und so folgte ich dem Sirenenklang aus dem Norden. Ein Abenteuer ist daraus geworden, für das Heise die Vorahnung gehabt haben muß, wenn er mich seinen Luxusassistenten nannte. Damals lernte ich den zweiundzwanzigjährigen Maler Wolfgang Klähn kennen und ohne Erörterung von »Stilfragen« als Künstler hochschätzen. Es gelang, Heise zu dem Plan zu gewinnen, Klähn ein Treppenhaus in der Kunsthalle ausgestalten zu lassen, und der Maler hat in dem schöpferischen Furor des Sommers 1952 dieses Werk zustandegebracht. Mit viel Begeisterung ist es begrüßt worden. Nur das Feuilleton, damals durch Photorealismus und Sozialkritik noch nicht mürbegeklopft, hielt sich zurück. Man glaubte an die festen Werte der Abstrakten, an deren Segnungen Klähn sichtlich geringen Anteil hatte. Ich allerdings zweifelte keinen Augenblick, daß Klähn seinen Weg machen würde, hielt mich sogar verpflichtet, ihn dabei nach Kräften zu fördern. Eines Tages stellte sich heraus, daß er ohne Atelier war. Wie helfen? In der Kunsthalle gab es das Souterrain mit einer Folge von Ausstellungsräumen, die der Wiederherstellung harrten. Einen davon wies ich dem Künstler als Arbeitsraum zu. Die Räume waren unbenutzt, Klähn aber schaffen zu lassen mir unbedingt wichtig. Daß mein Direktor dies kaum so ansehen würde, war mir klar. Die Entscheidung war nur auf die eigene Kappe zu nehmen.
Alles ließ sich zunächst aufs Beste an. Klähn, seit dem Wandbild im Treppenhaus seines Künstlerweges sicher, malte ein schöneres Aquarell nach dem anderen, das zu bewundern ich Abend für Abend in den Keller kam. Doch die Wolken zogen schon auf. Eines Wintermontags betrete ich das Museum und merke sofort eine Unruhe unter den Aufsehern. Irgend etwas war geschehen. Was, das sollte ich durch meinen empörten Chef unverzüglich erfahren: nichts weniger als die Katastrophe. Klähn hatte eine Tür eingetreten! Nicht aus Protest gegen Sachen, woran man 1952 und Klähn auch später noch nicht dachte. Der Maler hatte während eines Samstags über seiner Arbeit gesessen und völlig überhört, daß das Museum sich über seinen Häupten leerte und die Portale sich schlossen. Als er das Souterrain verlasen wollte, fand er die Tür bereits abgesperrt. Lautes Rufen und Klopfen erreichte in den majestätischen Säulenhallen niemand mehr. Also die achtundvierzig Stunden bis zum Montag im Keller warten? Nicht auszudenken. Einzige Lösung: den Knoten zerhauen. Ein kräftiger Fußtritt und die Türfüllung war aus dem Rahmen. Keinen schlechten Schreck empfing der herbeigelaufene Nachtwächter angesichts des Gespensts, das er aus dem dorischen Tempel wieder herauslassen mußte. Ab nun ging alles auf dem Dienstweg. Es konnte nicht fehlen, daß mir grobe Insubordination vorgeworfen wurde. Denn nicht nur hatte ich mit vollem Bewußtsein eigenmächtig gehandelt, ich war auch nicht im geringsten bußfertig. Meinem Direktor wiederholte ich, von der Wichtigkeit des Klähnschen Schaffens so eingenommen zu sein, um dem Künstler beim nächsten Mal wieder selbstherrlich einen Raum zur Verfügung zu stellen. Durchaus war mir klar, damit meine Pflicht gegen den sehr großzügigen Vorgesetzten, der Heise war, zu verletzen, und es auch dem Menschen gegenüber an Loyalität fehlen zu lassen, handelte aber nach dein Wort »Fiat ars, pereat mundus«, und gewiß nicht aus irgend einem wiedertäuferischen Rechtsbewußtsein, das jungen Leuten fünfzehn Jahre später Warenhäuser anzuzünden eingeben sollte.
Auf diese Weise war meine Museumslaufbahn beendet. Der vornehme Mensch, der Carl Georg Heise war, belohnte mir die Aufsässigkeit, indem er mir den Weg an die Hertziana nach Rom ebnete, und überhaupt werde ich mich auch bei dem Tritt in die Tür bedanken müssen, daß er zu diesem am Ende vernünftigen Kurswechsel führte. Das Vorbild wird schon nicht Schule machen und Ihre Mainzer Assistenten Türen eintreten lassen, um nach Rom zu gelangen!
Eines Tages erschienen dann Sie im Braunschweiger Haus und blickten sofort zu den Klähnbildern an den Wänden. Da kunsthistorische Besucher dies sonst strikte vermeiden, um nicht ein Urteil abgeben zu müssen, was bei so ungeklärter Stilsituation unbehaglich wäre, war mir blitzartig klar: ein ganz besonderer Vogel ist in Deinem Haus, einer, der sich das Fliegen im Medium des Künstlerischen zutraut, dem dies die Lebensluft ist. Es kam denn auch sogleich die Frage, wer dieser Künstler sei und wann die Pfalzgalerie ihn ausstellen könne. In Trier hatte Curt Schweicher 1965 Klähn im Museum an der Porta Nigra gezeigt. 1968 war dann Kaiserslautern an der Reihe und zehn Jahre später noch einmal. Als ob dem Hamburger Klähn der ehemals römische Boden am besten bekäme.
Was soll ich mir noch alles wünschen, nach der Meier Graefe Ausstellung in Mainz noch eine des Wolfgang Klähn? So maßlos wie in den Tagen des Hamburger Tritts im Keller werde ich ja nicht mehr sein. Es ist auch das Geburtstagskind, dem Wünsche dargebracht werden sollen. Möchte es also noch die Ausstellungen gestalten, zu denen sein Temperament es drängt, Géricault, Delacroix, Picasso oder auch die von seinem Braunschweiger Freund in Erinnerung gebrachten Namen, stets wird es Poesie für die Augen zeigen. Denn nur sie läßt seine Augen glänzen, und dies wünscht ihm sein
Martin Gosebruch, 1983
1952 hat er ein Wandbild im kleinen Treppenhaus der Hamburger Kunsthalle gemalt, von dem schon frühzeitig gesagt werden konnte, es bedeute das Ende der abstrakten Malerei. Ohne Anleihe bei den Dingen der Realität war ein Bild von Aufstieg und Erfüllung des Lebens entstanden. Das "malerische Ingenium" Klähn hat die Vorgänge des Zeugens, Gebärens, Wachsens, Fruchtbringens, Sterbens und Wiederauferstehens als die im Geist zentralen Ereignisse der Schöpfung anzuschauen gelehrt, wobei Schöpfung wie von selbst göttliche Schöpfung wurde.
Martin Gosebruch, "Die Welt" 1982
Solche Bilder der "Gebor'nen Mitte" machen einen kräftigen Strang in Klähns Werk aus. Der andere, den wir mit dem Kurztitel "Lebenskreisen" überschreiben, reicht von dem Bild in der Hamburger Kunsthalle "Zeugen und Gebären im Schönen zu Geist", den gleichzeitig in diesem Geist im kleinen Treppenhaus der Kunsthalle gemalten Wandbildern, bis in die mannigfach erfüllte Gegenwart: "Stier - Vogel, stürzend und drängend, schwingend und steigend zu Wachstum und Blühen; und beides kreiset zu Licht."
Frank Steigerwald, 1982
Die malerische Begabung von Wolfgang Klähn ist früh beachtet und von kompetenter Seite hervorgehoben worden. Das Wort vom "malerischen Ingenium" (Eo Plunien), das bisweilen mißlaunige Kritiker beunruhigte, legitimierte schon das Wandbild im Kleinen Treppenhaus der Hamburger Kunsthalle (1952), die Pracht der Farberscheinung des "Oster- und Pfingstbildes" (1959-60), aber auch die stille, lichte Schönheit von Bildern wie das "Zärtliche Erdenschwingen" (1955) oder das Triptychon von 1957 bestätigen es. Es gibt Landschaftsaquarelle von Klähn, deren farbige Erscheinung alchymisch wirkt. Klähns Malerei ist ein Fest für die Augen.
Erich Hubala, 1971
1951 in Hamburg hatte er noch schmeichelnd gemalt wie Chagall und traumselig erfunden wie Paul Klee. Des Pinsels Beweglichkeit und die Fülle der Phantasie standen also von Anfang an zu Gebote. Als dann stärkere Anforderung auf ihn traf, nämlich ein Treppenhaus auszumalen in der Hamburger Kunsthalle, gab er die Antwort auch stärker. Eines bietet ein Treppenhaus als rein gegenständliche Vorgabe schon an, den Aufstieg nach oben, und so beginnt diese Malerei als stürmischer Aufstieg. Sie hätte so weitergehen und die Treppe begleitet haben können, und wäre immer als dekorative Leistung anzuerkennen gewesen. In Wirklichkeit aber, und hieran erkennen wir Klähn, entfaltet sich nach dem triebhaften Aufstieg in einer Themabildenden zweiten Phase etwas Anderes, Neues, das als volle Gestalt gerundet dasteht, der festlichen Hochzeit gleich, der die Sehnsucht vorangegangen war. Genauere Beschreibung eines Werkes, das übermäßige Vorsicht der Sichtbarkeit wieder entzogen hat, brächte niemandem Gewinn. Eines Tages wird diese Wandmalerei neu entdeckt werden.
Martin Gosebruch, 1968
1952 erschien Klähn im Amtszimmer des Unterzeichneten in der Hamburger Kunsthalle, gerade zu Beginn von dessen Assistentenzeit bei Carl Georg Heise, und legte einige Bilder vor, die unverwechselbar Eigentümliches an sich trugen, ebenso wie der frei auftretende, zugleich ganz beherrschte, hochgewachsene Mensch, ihr Urheber. Dieser sah nach einem geborenen Wandmaler aus! Mehrfache Begegnung verstärkte diesen Eindruck, so daß sich nach und nach ergab, dem Maler sollte eine besondere Aufgabe gestellt werden. Carl Georg Heise bewies die jugendfrische Begeisterungsfähigkeit, die seine Lübecker Jahre angesichts der Munch und Nolde so fruchtbar gemacht hatte, und erteilte Klähn den Auftrag, das Kleine Treppenhaus der Kunsthalle gemäß vorgelegter Entwurfsskizze mit einem Wandbild zu schmücken. Stifter wurden gewonnen, und bereits im Sommer 1952 stand der Maler auf seinem Gerüst im engen Schacht des Treppenhauses, um Stockwerk für Stockwerk das Bild in die Tiefe hinabzuführen. Mit welchem Jubel haben wir es begrüßt, als endlich im Herbst der hölzerne Kasten entfernt war und dem Auge ein herrlich gelungenes Werk sich darbieten konnte! Der steile Schacht mit der zu einem Oberlichtsaal durchbrochenen Seitenwand hatte hohe Sicherheit in der Raumbeherrschung vom Maler gefordert und war nun durch aufstrebende Ketten starkfarbiger Zellen auf schwarzem Grund in den Träger von Aufstiegsgeschehen ganz und gar verwandelt worden. Damals, 1953, rief Georg Meistermann spontan aus, er habe seit dem letzten Krieg keine so gute Wandgestaltung gesehen, und Franz Roh glaubte, vor den Spuren eines Bedeutenden zu stehen. In der Hamburger Presse und Kunstöffentlichkeit freilich wurde das Bild zwiespältig aufgenommen. Die kritischen Stimmen, nach denen die Malerei zu farbenstark für den Zusammenhang eines Museums sei, behielten schließlich die Oberhand, so daß nach drei Jahren die beschwingt steigenden Formketten dieses Treppenhauses durch Leinwandbespannung wieder unsichtbar gemacht worden sind. Einer späteren Zeit sollte das endgültige Urteil darüber anheimgestellt sein. Wir freuen uns jetzt schon auf die zweite Enthüllung eines Werkes, von dem wir damals zu spüren glaubten, der von der Nachkriegsgeneration zu erwartende Schritt zu einer neuen Stufe der modernen Malerei sei damit vollzogen worden.
Martin Gosebruch, 1965
Der 1929 geborene Hamburger Wolfgang Klähn trat zum ersten Mal hervor, als er das Kleine Treppenhaus der Hamburger Kunsthalle im Jahr 1952 auszumalen bekam. Unser Lichtbild gibt in seinem harten Schwarz-Weiß nur sehr unvollkommen die raumbildende Kraft dieser leuchtenden Farben vor dunklem Grund wieder und macht den dekorativen Anteil dieser Malerei zu grell, denn gerade an demselben ist hier das Neue, daß nicht ein irgendwie formel-dekoratives Wollen den Ausgangspunkt bildet, sondern eine geistige Wahrheit, selbst gefunden von dem Maler, der sie versinnlichte. Auf der unteren Seitenwand strahlt es in hinanziehenden Ketten von zellenartigen Gebilden nach oben, den Anstieg der Treppe zu begleiten und zu beschleunigen. Auf der hohen Stirnwand dagegen spielt sich ein neues Geschehen ab, nach dieser ersten allgemeinen Vorbereitung. Am Fußpunkt dringen zwei Keimzellen ineinander. Von solcher Zeugungsstelle aus steigen neugeborene Zellen kräftiger erdhafter Farbigkeit in zwei Kolonnen aufwärts. Sie öffnen sich in Art eines Kelches und enden sodann mit hellgelbem Keil, der nun des ganzen Aufstieges Erfüllungspunkt ausmacht. Aber eben dort kann sich dieses Aufsteigen gestaltartig schließen, wo herabstrahlende, lichtblaue Kristallformen ihm die unüberschreitbare Grenze setzen. Das ist nun nicht bloß die Sinnfigur eines zur Erfüllung ansteigenden Geschehens, sondern auch seine sinnliche Pracht, deren geordneter Rhythmus jeder bloßen Dekoration überlegen ist. Den Vergleich übrigens mit Klees Wachstum der Nachtpflanzen halten wir nicht für ergiebig, denn dort ist es magisches Leuchten von real gesehenen Pflanzengebilden in nächtlicher Dunkelheit, während Klähn einen so nicht wahrnehmbaren Lebensvorgang vom Geist her entwirft.
Martin Gosebruch, 1963
Zum Experiment in der Kunsthalle - Malerei im Dienste einer geistigen Seins-Schau
Kunst ist ins Werksetzung der Wahrheit - so beantwortet Martin Heidegger die heute nach Überwindung der klassizistischen und naturalistischen Kunstbegriffe des 19. Jahrhunderts wieder neu gestellte Frage nach dem Wesen der Kunst. Damit haben wir freilich mehr in der Hand, als mit dem "interessenlosen Wohlgefallen an der Schönheit", das nach Kant unsere Verhaltensweise der Kunst gegenüber sei. Erscheinungen wie die Kunst Vincent van Goghs, des Expressionismus, in einem Wort gesagt, der leidenschaftlichen Beteiligung am Menschlichen, die in den klassizistischen Kunstbegriff Kants nicht hineinpassen können - eher vielleicht in Schillers Sicht der moralischen Veranstaltung - können unter diesem weiten Dach immerhin Platz finden. Aber was ist Wahrheit? Steckt sie bereits in jedem formal richtig, das heisst interessant, reizvoll, spannungsvoll gelösten Formgefüge, wie es uns die abstrakte Kunst glauben lassen möchte, und wie die Ästhetik Weischedels, der den Heideggerschen Wahrheitsbegriff auf die empirisch vorkommende Kunst unserer Tage anwendbar machen wollte, nachformuliert, wenn sie sagt, die moderne Kunst offenbare die Welt als Gefügte. Welchen Unterschied aber gibt es denn noch zum Kaleidoskop? Mit dessen jeder neuen Drehung ich mir einen neuen Weltaspekt erschütteln könnte? Selber sprechen abstrakte / konkrete Künstler ja heute oft genug von der "Aussage" ihrer Form und beweisen damit, dass sie den neuralgischen Punkt der gesamten geistigen Situation sehr wohl fühlen, die Aussagelosigkeit. Form macht noch keinen Sinn. Wohl aber kann es nicht fehlen, dass Sinn Form macht.
In dieser Lage verweisen wir auf eine der jüngst entstandenen Schöpfungen des deutschen Malernachwuchses, das Wandbild im Kleinen Treppenhaus der Kunsthalle von Wolfgang Klähn. Man hat bisher den dekorativen Effekt dieser vor einem schwarzen Grund so machtvoll leuchtenden Farben, dieser so spannungsreich gegeneinander stoßenden Formen wohl gesehen. Es hat aber diese Kunst einen geistigen Inhalt, der sich von aller Dekoration schärfstens unterscheidet. Solange dieser geistige Inhalt des Bildes nicht zur Kenntnis genommen ist, wird das Bild in gleicher Weise missverstanden werden, wie die symbolischen Figurationen eines Philipp Otto Runge, den man im Zeitalter der "reinen Form" als reizvolles Ornament gerade noch gelten lassen sollte. Wohlgemerkt, wir wissen von den Möglichkeiten, irgendwie Bildtitel unter moderne Bilder zu setzen. Zu den Gefühlsmächtigkeiten der Bilder Winters, zu den intelligenten Bilderrätseln Meistermanns stellen sich Worte als Unterschriften ein, aber diese teils zu vagen, teils zu vordergründig genauen Benennungen sind hier nicht gemeint. Als erstes gibt es auf unserem Wandbild unabweisbare Richtungen, die man nicht auch etwas anders legen kann, ohne einen Sinn zu stören, gibt es bestimmte Abläufe von Vorgängen, gibt es Kulminationspunkte. Nun, wird man uns sagen, die Treppenhausfunktion ist eben mit malerischen Mitteln ausgedeutet worden, das Wenigste, was man für den Auftrag erwarten konnte.
Das ist nicht falsch, aber es sagt nicht alles. Natürlich wollen die auseinander schießenden blauen Formen der seitlichen Zwickelwand die Menschen allererst in das Treppenhaus einsaugen, wollen die steigenden Formen an der Stirnwand ihn hochziehen, will endlich dem oben Angelangten das nun erscheinende Gesamtbild seine ruhige Macht vermitteln. Daran ist nichts Neues, was aus der geschichtlichen Entwicklung der Malerei seit Kandinsky herausfiele. Aber darüber hinaus liegt eine geistige Aussage in dem Bild, die auch interpretiert worden ist (wovon sich jeder überzeugen könnte, wenn er die Hunderte Seiten denkerischer Vorarbeiten einsähe, die der Maler, auch hierin übrigens Runge gleich - während seiner Maltätigkeit geschrieben hat). Wir müssen aber von vornherein sehr präzis von dem geistigen Begriff sprechen, der hier die Formen regiert und die Verwechslung mit der Symbolfunktion ausschließen, als welche die Form immer schon Ideen verkörpert hat.
Der Zentralbegriff der hier in Formäquivalenz gesetzten Schau ist der der "Existenzialreflektion". Sein ist nur durch den Geist. Mit einer schneidenden Radikalität, die dieses Denken dem Platos verwandt sein lässt und gegen die gehalten der "methodische" Zweifel Descartes ein Trick der Einfädelung ist, wird dem empirischen Dasein die Existenz aus sich abgesprochen. Erst der Geist macht existent. Klähn lässt das Sein sich als Werden, als Bewegung zwischen den Polen des Nichtseins abspielen. Die Pole sind auf der einen Seite das Kleinste und auf der anderen das Grösste. Das Kleinste, das nichts ist als die Bereitschaft zum Unendlichen, wird in diesem der Mathematik sehr affinen Denken mit dem Symbol Unendlich hoch Null klar bezeichnet, das Grösste, das alles in sich enthält, wird Allumfassendes genannt oder Unendlich hoch Null, weil ja in ihm alles ist und zu nichts mehr die Bereitschaft sein kann, Aristotelisch gesprochen, sind das die Begriffe der einen Potentia und des reinen Actus. Man möchte auch anders sagen, dass es sich einmal um das Absolute in seiner verschlossensten Form, das ins andere Mal in seiner offensten handele. Der Durchgang nun von Einem ins Andere, der nur die eine Richtung vom Kleinsten zum Grössten haben kann, ist der Weltprozess, dessen Ablauf die Materie entstehen und hinter sich liegen lässt. Nun kommt etwas sehr Spezifisches dieser Schau: Das Kleinste und das Grösste sind von Kugelform. Das ergibt sich mit Unausweichlichkeit, denn das Kleinste ist der Punkt, und das Grösste ist die Maximalkugel. (Dies der Denkschritt, wo die Leistungsfähigkeit aller anderen Extremitäts-Systeme angefangen von Dyonisius Areopgita über Meister Ekkehart zu dem Kardinal von Cues übertroffen wird, denn hier fallen die Extreme im Absoluten in eins zusammen, so dass sich keine Seinsbewegung ergeben kann, kein Raum) Wenn alles in der Maximalkugel enthalten ist, dann erfüllt sich alles Sein auf die Innenfläche der Kugel hin. Bei höchster Intensität der Bewegung, von Klähn mit dem Begriff der "Wahrhaftigkeit" bezeichnet, trifft es auf das Allumfassende, auf der Innenmantel der Kugel, um sich an ihm zu brechen und in Wahrheit existent zu werden. Soweit eine in knappster Andeutung gehaltene Angabe des Ideengutes.
Das Sein zwischen dem Punkt als Kugel und der Kugel des Allumfassenden ist das Thema des Wandbildes. Keine Form, die nicht strikte von diesem Thema bestimmt, sondern nur einem ästhetischen Effekt zuliebe wäre. Daher kommen auch alle die zu kurz, die "peinture" genießen wollen, wiewohl diese im Bild mit enthalten ist. Beschreiben wir das Bild: Die Erschließung des gesamten Treppenhauses erfolgt auf dem Zwickel der Seitenwand. In der untersten Ecke links sitzt der Punkt. Von ihm aus entwickelt sich im Aufwärtsbrausen der rhythmisch gestaffelten blauen Formen die Bereitschaft zu allem, was folgt. Als erstes geschieht die Bewegung des anorganischen Seins aus dieser allgemeinen Bereitschaft heraus, die ihre vorläufige Erfüllung nach Durchlauf einer Umkehrbewegung auf der Hochwand oben findet. Aus der "Bereitschaft" bewegt sich aber gleichzeitig dem Lauf der Treppe rechts folgend eine Kette von Keilen, die am Fuße des obersten Pfeilers in einer unerwarteten freien Mutation zu Formen des Organischen herauf gehoben wird und in der Höhe des Pfeilers unter der Decke mit der grün herableuchtenden Blüte ihre letzte Möglichkeit erfüllt. Indes hat sich an der hohen, gedrängten Stirnwand etwas Neues ereignet. Zutiefst an dieser Wand liegt eine zellenartige ineinander gleitende Form, eine Art All-Gelenk. Aus dieser Geschlechtszelle, dem Zeugungsort entstehen die beiden verschieden rasch nach oben strebenden Säulen.
Von dem Dunkel der Urzelle bis zu jenem als sieghafte Überraschung plötzlich erscheinenden hellgelben Keil, mit dessen scharfer Richtung verglichen das Steigen der Schwellkörper unter ihm etwas Stofflich Träges bekommt, ist das Höchstmaß an Spannung erreicht. Es ist das eine Zündstelle. Der helle Keil ist die "ahnende Berührung des Seins mit dem Allumfassenden" und damit die Spitze des Erfüllungsprozesses im ganzen Sein aller Bereiche. Hier bekommt das Sein das ihm erreichbare Höchstmaß an Kraft, weil es sich am Absoluten gebrochen hat, hier wird es in Wahrheit existent.
Darüber und in der Deckenzone liegt der Raum des Nichtgreif- und Sichtbaren, der Raum des Geistes. Die Energien des Geistes vom Allumfassenden her, die der Materie ihre Sichtbarkeit erst verleihen - man denke an Platos Höhlengleichnis - strahlen in diesen ungreifbaren Blau-Violett und Grautönen herab. Seraphische Töne überfangen sanft das kraftvolle Prangen des innerweltlichen Bereiches darunter. Im tiefsten Blau schließlich versinkt das kosmisch-geistige Sein in das Absolute, in dem es kein gesondertes, geformtes Sein, kein Werden mehr gibt. Wachsen in strengem Gesetz zu freier Entfaltung.
Der Formenschatz ist ein zuchtvoll beschränkter. Nur Keile und Schwellkörper farbig auf schwarzem Grund. Schwarz ist der Grund, weil Schwarz die absolute Passivität ist, das Nichtsein am negativen Pol, von welcher Folie sich die farbige Form als Etwas-Sein abhebt. Schon durch diese Farbspannung ergibt sich eine Räumlichkeit. Mehr ist nicht nötig. Denn der Ort jedes "Seinsquants" zwischen Schwarz und Weiß als den absoluten Polen, die Proportion zum Absoluten lässt sich mit einer Farbe bestimmen und die Form gibt die Richtung auf das Absolute hin an.
Das ist eine Seins-Schau, die ohne Formen der materiellen Welt zu gebrauchen, so tief und umfassend ist wie die alten Schöpfungsgeschichten der christlichen Kunst. Wir müssen hinnehmen, dass hier die Wahrheit des geistigen Begriffes und die Macht der künstlerischen Form in Eines zusammenfallen. An künstlerischer Substanz ist nicht mehr in dem Bild denn an Erkenntnisgehalt. Aber da Identität vorliegt zwischen begriffener Wahrheit und gestalteter Form, ist es durchaus möglich, dass der Gehalt des Bildes auch dann zur Wirkung kommt, wenn seine Begriffe nicht in die Helle des aufnehmenden Bewusstseins treten. Gleichsam sakramental fließen unmittelbar in uns ein Kraft und Klarheit des Seins im Allumfassenden. Die höchste geistige Ordnung wird sich selbst zum Klingen bringen, jenes Geheimnis, das die Alten meinten, als sie von Sphärenmusik sprachen.
Martin Gosebruch, 1953
Dem Besucher der modernen Abteilung der Hamburger Kunsthalle wird, nachdem er den zarten Bereich der Kleeschen Traumwelt durchschritten hat, im nächsten Raum ein Schock widerfahren: wie ein großes schwarzes Loch gähnt ihm die Mündung des Treppenhauses entgegen, das Wolfgang Klähn im vergangenen Jahr im Auftrag von Professor C. G. Heise ausgemalt hat. Der erste Eindruck des engen, steil hochsteigenden Raumes ist durch den schwarzen Grund aller Wände von abweisender Geschlossenheit. Die stark von innen heraus leuchtenden Blaus der aufwärts führenden Wand bedeuten die erste farbliche Spannung zu dem Schwarz des Trichters, der man ansichtig wird. Sie geben dem Raum eine strenge fast sakrale Note und heben ihn aus der relativ gleichförmigen Folge hellgrauer Museumsräume als einen Bezirk eines ganz Anderen heraus. In ihm ist etwas von der hochgespannten Stille eines dieser riesigen modernen Fabrikräume, deren Leere von dem Surren unsichtbar rasender Schwungräder dicht erfüllt wird. Eine saugende Energie entsteht und zieht den Betrachter unwillkürlich in die sich nun entfaltende Bewegung der Treppe hinein. Diese hebt mit den auseinanderschießenden blau-roten Formketten auf der Zwickelwand gewaltig an. Das in einfachen Tatschlägen zwischen kalten und warmen Tönen streng gegliederte Aufwärtsbrausen ist gleichsam für das gesamte Geschehen des Treppenhauses der motorische Impuls. Über dieser Zone liegen sockelartig, als waagerechter Abschluss der großen Seitenwand nach unten zwei große Dreiecke, die in Richtung und Farbigkeit zueinander in Spannung stehen. In sie hinein und durch sie hindurch dringen die von unten her aufgeschossenen Formenketten. Ihre Energie geht nicht verloren. Sie wird jäh ausgeflammt in jenem eisblauen, auf die Spitze gestellten Dreieck, dessen schneidende Schärfe den riesigen schwarzen Raum um es herum aufwiegt, bzw. setzt sich weiter nach oben fort in einer starren Kette von senkrecht aufsteigenden rot-blau getakteten Keilen, die in Spannung zu den kühlen Grünblaus ihres Sockeldreiecks stehen ebenso wie eine Polarität zwischen den Rot-Blaus des hinteren Dreiecks zu den Eisblaus der Messerschneide zu erkennen ist. Während sich die Energie der senkrecht steigenden Keile in der wie abrostenden Farbe des oberen Keiles in das Dunkel des Grundes verliert, kommen ihnen von oben blaue Keile entgegen. Auf dieser großen Seitenwand herrschen also die strengen, starren Gesetze eines anorganischen Seins. Anders die steile Stirnwand, deren erst wirksam werdende Funktion das reine Steigen ist. Hier erscheinen organisch schwellende Formen mit reichen blühenden Farbakkorden. Zwar hatte der türkisblaue horizontale Keil über ihrem Fußpunkt schon etwas von der auf der Seitenwand ausgelösten Energie mitgeteilt. Aber doch entsteht nicht logisch aus dem zuvorgehenden, was wesentlich auf dieser Wand vor sich gehen wird. Es nimmt - in die allgemeine Bewegung des Treppenhauses eingestellt - seinen neuen Anfang in jenem geheimnisvoll kreisenden Gelenk, das wie eine Urzelle die zwei großen Säulen von Schwellkörpern aus sich heraus entstehen lässt. In strenger Ordnung, polarer Spannung der kalten und warmen Vorzeichen der beiden Säulen und rhythmischer Bewegung der Farben innerhalb der Säulen findet dieses Steigen statt, bis es - wiederum nicht vorhersehbarer Weise - mit einem Mal aufhört und wie erlöst wird durch das sieghaft helle Gelb des blitzhaft nach oben stoßenden Keils. Ihm begegnen von oben kommende Keile ungreifbarer Blau-Grau-Farben und es ist als ob gerade dieser Moment der Begegnung des oben und unten dieses plötzliche Zünden ermöglicht hätte. Die Decke ist von kristalliner Feinstruktur. Ihre klare, seraphische Ordnung steht in deutlichem Gegensatz zu dem körperfroh prangenden Orange- und Rotfarben, die sich in dicht aneinanderdrängender Form hochtreiben.
Verlassen wir das Bild der Stirnwand, das die Hauptachse des ganzen Treppenhauses ist, so bleibt noch zu beschreiben, wie dem rückwärts gewandten Treppenlauf folgend nun eine einfache Keilkette nach oben steigt. Sie wird unter Umpolung ihrer Farbsektoren von orange über rot zu blau am Endpunkt der Treppe, abermals durch eine zellenartige Form in den neuen Bereich organisch-schwellender Formen heraufgehoben und krönt ihren Aufstieg den Seitenpfeiler hoch durch das herrlich kühle, von ihnen heraus leuchtende Aufblühen der lilienartigen Endform, die wiederum einem von oben herabzeigenden Keil begegnet. Durch den horizontal die Stirnwand kreuzenden türkisblauen Keil steht diese Kette der oberen Treppenhälfte in direktem Zusammenhang mit der auf der unteren Zwickelwand aufgefächerten Bewegung. Man könnte also, wenn man nur streng genug auf die Form geachtet hat, ihren sinnvollen Ablauf erkennen. Zuerst Anheben allgemeiner Bewegung von einem kleinsten Anfangspunkt aus, dann eine Erfüllung anorganischer Seinsbewegung, sie wiederum die Voraussetzung für den neuen Bereich, in dem gleichsam organisches Sein in strenger Entfaltung aufsteigt und in der Begegnung mit einem Umfassenden zur Spitze seiner Erfüllung kommt und an der oberen Seite der Treppe ene zusammenfassende Wiederholung dieser Abläufe. Ohne Bilderrätsel lösen zu wollen, wird doch die reine Betrachtung des Anschaulichen Richtungen und Erfüllungssituationen in dem Wandbild finden, die Sinn erwarten lassen. Und tatsächlich ist hier gar keine abstrakte Malerei mehr, wie es den Anschein hat, ja zunächst in ganz besonderem Grade hat, da konsequent die vorgeformte Form des Dinges verlassen ist. Es ist die malerische ins Bildsetzung einer geistigen Schau, die sich auch im philosophischen Begriff niedergelegt hat. Im Begriff dargestellt besagt sie, dass das Sein sich von dem Kleinsten auf das Grösste bewege und dabei zur Existenz komme, wenn es sich am Allumfassenden bräche. Existenzialreflektion ist die philosophische Vokabel, die der Maler zwar auch geprägt hat, aber nicht braucht. Zunächst braucht er seine Bilder als "Existenzbeweise". Sie sagen, dass alles Sein nur vom Absoluten her ist. Ihre künstlerische Wahrheit ist in gleichem Maß eine Wahrheit der Erkenntnis. Das bedeutet einen scharfen Unterschied von aller abstrakten Malerei, die absolut sein will, weil sie den reinen Ausgang von der Form nimmt. Doch woher kommt die Kraft dieses Wandbildes von Klähn, die Klarheit und Kraft vereint, die Momente, die bisher auseinandergeblieben sind während der ersten Jahrhunderthälfte, wenn nicht aus dem geistigen Raum heraus, aus dem der Künstler schafft? Es ist eben nicht so, dass im Klingen der Form auch schon der Sinn aufleuchte - wohl aber so, dass die höchste Ordnung, der tiefste Sinn die Formen zum Klingen bringt, was die Alten meinten, wenn Sie Sphärenmusik sagten...
Martin Gosebruch, 1953
Zum Wandbild von Wolfgang Klähn in der Hamburger Kunsthalle
Dass die ungegenständliche Malerei heute die Breite des künstlerischen Schaffens beherrscht, ist von keinem ihrer zahlreichen Gegner aller Lager mehr abzustreiten. Mehr als eine Richtung unter anderen ist sie Sammelbecken, Konvergenzpunkt aller künstlerischen Bestrebungen überhaupt geworden. Freilich, das große Publikum steht ihr ohne Verständnis gegenüber. Aber ohne es vielleicht immer zu wissen, ist unser aller Auge durch ihre Formleistungen, deren Wirkungen ja weit in das tägliche Leben hinein reichen, empfindlicher geworden, und ihren sozialen Ort hat diese Kunst auch schon gewonnen, nämlich überall dort, wo es Menschen darum geht, ihre Zeit und nicht eine vergangene zu leben. So erfolgreich steht ungegenständliche Kunst heute da, dass man nachdenklich werden möchte. Hat es nicht schon etwas recht Gewohntes auf sich mit dieser Kunst? Werden heute nicht nur Wege breitgetreten, die zu eröffnen vor einem halben Jahrhundert Pioniertat einiger weniger Begnadeter war? Ist nicht, was einstmals Sprung ins Offene, geistige Tat war, heute Angelegenheit ästhetischer Technik? Täuschen wir uns doch nicht darüber, dass die große Gefahr der Malerei von heute ein Formalismus ist, den wir für durchaus nicht geistvoller ansehen können als jene atmosphärischen Feinschmeckereien vom Ende des vergangenen Jahrhunderts, gegen die mit heißem Herzen Van Gogh und seine expressionistischen Nachfolger, mit hoher Kühnheit des konstruktiven Entwurfs die Kubisten und Kandinsky aufstanden. Hat Franz Marc deshalb den großen Bogen zwischen Religion und Geist zu spannen versucht, dass dreißig Jahre nach ihm ein interessantes Reizspiel die Kunst ausmachen sollte? Soll wirklich weiterhin Kunst darin liegen, dass Form und Farbe in irgendwelche spannungsvollen Zusammenhänge gebracht werden oder dass die eigenen psychologischen Komplexe als Zeichen magischer Mächte ausgegeben werden? Dafür könnte man besser ein Kaleidoskop mit psychischen Lokalfarben nehmen…
Wer heute von echter Kunst noch angerührt werden will - muss er sich von Neigungen zum "gesunden Realismus" noch eigens distanzieren? - , darf einen Neubeginn erwarten, der den zu gut schon funktionierenden Betrieb innerhalb der modernen Malerei wieder zerschlägt und Kunde vom Geist bringt. Er ist immun geworden gegen die so intelligent vorgetragenen Thesen, dass die reine Form schon den reinen Geist bedeute, und vor ihrer Absolutheit die Frage nach Inhalten rückständig werden.
Der Erwartung eines Neubeginns kommt die Tat des Geistes entgegen. Wir haben eine Kunst, die frei von empirisch-dinglicher Gestaltung einen geistigen Inhalt ausspricht. Ein monumentales Zeugnis der gegenstandslosen Malerei liegt vor in einem Wandbild, mit dem Wolfgang Klähn im Sommer des Jahres 1952 das kleine Treppenhaus der Hamburger Kunsthalle ausgemalt hat. Manche Betrachter hatten schon die hohe künstlerische Qualität dieser Malerei notiert, sei es nach der Originalität der raumgestalterischen Seite, sei es nach Mächtigkeit der Farbe und Spannung der Komposition. Manchen war auch aufgefallen, dass Bewegungsabläufe in dem Bild nach bestimmten Richtungen gehen, dass es ein echtes "Unten" und "Oben" gibt, und nicht das so interessante, aber zufällige Formgeschiebe der abstrakten Bilder von heute.
Nun musste noch nichts Neues hierin liegen, das nicht schon der Funktionalismus des Bauhauses gelöst haben könnte. Es wären eben die natürlichen Funktionen eines Treppenhauses mit malerischen Mitteln ausgedeutet worden. Und tatsächlich wollen die auf der seitlichen Zwickelwand hochschießenden blauen Formen den Menschen in den Raum hineinholen, die auf der Stirnwand aufsteigenden Formen ihn hochziehen, will schließlich dem oben Angelangten das nun sich im Gesamten bietende Bild seine ruhige Macht vermitteln. Aber über dies hinaus liegt ein ganz klarer Sinn, ein geistiger Inhalt in dem Bild, der seine Formen eigentlich bestimmt. Und nicht sind wir es, die ihn nachträglich hineininterpretieren, sondern es ist die Form selbst die Interpretation dieses Sinnes und weil es so verstörend für alle diejenigen ist, die den Sinn der Kunst für alle Tage in der auf sich gestellten reinen Form gefunden glaubten, dass Kunst nun doch wieder einen Inhalt aussagt, müssen wir uns zunächst um den geistigen Raum bemühen, aus dem dieser Inhalt kommt.
Einige Andeutungen müssen vorerst genügen, um die Grundzüge eines wurzelechten und kühnen Denkens bekanntzumachen. Der Zentralbegriff ist der einer Existenzialreflektion. Sein ist nur durch den umfassenden Raum, in dem es sich reflektiert, durch den Geist. Erst der Geist macht existent. Das innerweltliche Sein vollzieht sich als Bewegung, als Werden zwischen den Polen des Nichtseins. Diese Pole sind auf der einen Seite das Kleinste und auf der anderen Seite das Grösste, das Allesumfassende. Das Kleinste ist nichts als die Bereitschaft zum Unendlichen und wird daher in mathematisch klarer Weise Null hoch Unendlich genannt, das Grösste, das alles umschließt und zu nichts mehr Bereitschaft haben kann, Unendlich hoch Null. Man könnte auch sagen, das Absolute in seiner verschlossensten und in seiner offensten Form. Der Durchgang von Einem ins Andere, der das Gefälle vom Kleinsten ins Grösste und damit eine eindeutige Richtung hat, ist der Weltprozess, dessen Ablauf die Materie entstehen und hinter sich liegen lässt. Nun kommt etwas sehr Eigentümliches; das Kleineste und das Grösste sind von Kugelgestalt. Das Kleinste als der mathematische Punkt und das Grösste als der maximal ausgedehnte Körper fallen im Begriff der Kugel zusammen. Das Sein erfüllt sich in der Bewegung auf den Innenmantel der Kugel hin, auf das Allesumfassende. Bei höchster Intensität des Strebens, von Klähn mit Wahrhaftigkeit bezeichnet, trifft es auf das Allesumfassende, um sich an ihm zu brechen und in Wahrheit existent zu werden.
Das Sein erfüllt sich am Allumfassenden. So das Thema des Wandbildes. Der Maler gibt auf seine Art einen "Beweis" dafür, dass Existenz nur vom Absoluten her ist. Beschreiben wir das Bild am Leitfaden seiner Idee.
Der erste Eindruck vor dem schmalen steilen Schacht des Treppenhauses ist von abweisender Geschlossenheit durch das durchgehende Schwarz aller Wandflächen. Auf dem schwarzen Grund stehen stark leuchtende reine Farben, ein Kontrast, der den Raum mit einer hohen Spannung erfüllt und als etwas ganz Anderes aus der relativ neutralen Folge der Museumsräume heraushebt. Die Übermacht des Soges, der von der schwarz-blauen Raummündung ausgeht, holt den auf "Vorbeigehen" eingestellten Museumsbesucher aus seiner Gelassenheit heraus und in die kugelhaft geschlossene Räumlichkeit hinein. Wo das Steigen der Treppe beginnt, links unten am Zwickel der Seitenwand, befindet sich auch der Ausgangspunkt für das Bildgeschehen, sein Kleinstes. Von dort unten entwickelt sich im Aufwärtsbrausen der rhythmisch gestaffelten blauen Formen die Zone der Bereitschaft, des Strebens im allgemeinsten Sinne. Von den vier dort angesetzten Formketten folgt die unterste dem Lauf der Treppe weiter nach oben. Die anderen dringen in eine aus zwei nebeneinanderliegende Dreiecke gebildete Sockelzone ein. Ihre allgemeine Steigetendenz wird nach demn Durchgang durch die Sockelzone verschieden weitergegeben: durch das messerscharfe, auf seiner Spitze stehende Dreieck rechts, dessen eiskalte Blaus die riesige schwarze Fläche um es herum beherrschen, in dem die von unten gekommene Energie aber auch jäh, wie vorzeitig ausflammt - durch das starre steile Aufwärtssteigen der bordeauxroten Keile über dem linken Dreieck. Die beschriebenen Bewegungsabläufe auf der großen Seitenwand sind das Abbild des anorganischen Seins in seiner geometrischen Starrheit. Zur hohen Stirnwand rechts führt verbindend von der Bereitschaftszone her die unterste der vier Keilketten. Sie folgt dem Lauf der Treppe weiter nach oben, bis sie am Fuß des obersten Wandpfeilers in einer unerwarteten, freien Mutation zu organischen Formen heraufgehoben wird und in der Höhe des Pfeilers mit der grün herableuchtenden Blüte ihre letzte Möglichkeit erreicht, Indes hat sich, wie aus dem Anstoss des Vorbeilaufens, an der hohen Stirnwand etwas Neues ereignet. Zutiefst an dieser Wand liegt eine zellenartige, geheimnisvoll ineinandergleitende Form, eine Art All-Gelenk. Aus dieser Zelle als dem Ort einer Urzeugung entstehen die beiden verschieden rasch nach oben steigen Säulen.
Von dem Dunkel des All-Gelenks bis zu dem in sieghafter Überraschung plötzlich erscheinenden hellgelben Keil, mit dessen scharfer Richtung verglichen das Steigen der Schwellkörper unter ihm etwas Stofflich-Träges bekommt, ist das Höchstmaß an Spannung erreicht. Dieser gelbe Keil ist die ahnende Berührung des Allumfassenden, Spitze des Erfüllungsprozesses im ganzen Sein, Zündstelle und Haltepunkt aller Formabläufe des Wandbildes. Hier in der Begegnung mit dem Umfassenden kommt das Sein zu dem ihm erreichbaren Höchstmaß an Kraft, zu wahrer Existenz.
Darüber und in der Deckenzone liegt der Raum des Nichtsicht- und Greifbaren, der Raum des Geistes. Die Energien des Geistes vom Allumfassenden her strahlen in diesen unkörperlichen Blau-Violett- und Grautönen herab. War der Bereich des sich im Werden erfüllenden Seins durch die Entfaltung einer starken Dynamik der Form und durch das Prangen körperlicher Farben bestimmt, so überfängt ihn hier oben die Durchsichtigkeit einer kristallinen Feinstruktur, die Sanftheit seraphischer Klänge. In tiefsten Blaus schließlich versinkt das kosmisch-geistige Sein in das Absolute, in dem es kein gesondertes, geformtes Sein mehr gibt.
Der Formenschatz ist ein zuchtvoll beschränkter. Nur Keile und Schwellkörper auf schwarzem Grund. Schwarz ist der Grund, weil er die absolute Passivität, das Nichtsein am negativen Pol ist, von der sich in starker räumlicher Spannung das Etwas-Sein als farbige Form abhebt. Mehr ist nicht nötig. Denn der Ort jedes „Seins-Quants“ zwischen Schwarz und Weiss als den absoluten Polen, die Proportion zum Absoluten, lässt sich mit einer Farbe angeben, und die Keilform bestimmt die Richtung auf das Absolute hin.
Das ist eine Seins-Schau, die ohne auf Dinge der materiellen Welt zu greifen, tief und umfassend ist wie die alten Schöpfungsgeschichten der christlichen Kunst. Wir müssen das bisher Nichtdagewesene hinnehmen, dass in dem Bild die Wahrheit des geistigen Begriffs und die Macht der künstlerischen Form zusammenfallen.
An künstlerischer Substanz ist nicht mehr in dem Bild denn an Erkenntnisgehalt. Und da Identität vorliegt zwischen begriffener Wahrheit und gestalteter Form ist es durchaus möglich, dass der Gehalt des Bildes auch dem zur Wirkung kommt, der seine Begriffe nicht in die Helle des aufnehmenden Bewußtseins nimmt. In der Weise des Sakraments fließen dann unmittelbar in uns ein Kraft und Klarheit des Seins im Allumfassenden. Die höchste geistige Ordnung wird sich selbst zum Klingen bringen, jenes Geheimnis, das die Alten meinten, als sie von Sphärenmusik sprachen. Merken wir, dass wir diese Erkenntnis umgedreht haben, als wir glaubten, jede Art von Klingen müsse einen dahinterliegenden Sinn erschließen?
Martin Gosebruch, 1953