"Nur eine kleine Elite hat bisher begriffen, um welch umfassenden Wert es bei den Bildern von Wolfgang Klähn (geb. 1929, lebt in Hamburg) geht." Mit diesem Satz beginnt der erste Aufsatz, der die Kunst Klähns vorstellt. Geschrieben hat ihn 1962 Walter Otto, der Münchner Erforscher der Kunst des frühen Mittelalters. Man möchte sich heute fragen, ob er so noch gilt. Schließlich staunen wir selber über den Umfang der für diesen Katalog erstellten Bibliographie, die gegenüber der in der Monographie 1990 zuletzt vorgelegten nicht nur durch seither erschienenes Schrifttum gewachsen ist, sondern auch durch die hier unternommene genauere Recherche, die etliche bislang unentdeckte Artikel sowie Einträge in Lexika und Handbüchern fand und aufnahm. Ist Klähn dadurch zu einem bekannten Künstler geworden? Nein, denn dafür fehlt die breite Anteilnahme des bekanntermaßen krisenhaften Kunstbetriebs, der auf Gruppenbildung festgelegt ist und sich dem Begriff des Elitären sperrt, so sehr auch bekannt ist, daß es in der Kunst auf die herausragende Einzelleistung ankommt.
Die Frage ist aber auch von der zu trennen, ob, mit Otto zu sprechen, der Wert dieser Kunst begriffen worden ist. Nun bleibt beim Begreifen von Kunst stets mehr als ein gewaltiger Rest, wie wir aus der Beschäftigung mit historischer Kunst und der Geschichte ihrer Rezeption gut wissen. Daher ist im Begreifen nicht mehr als partielle Erleuchtung des Terrains zu erwarten, und vor allem haben wir mit dem unausgesprochenen Erkennen des Berührtseins, Spürens, Ahnens und Genießens zu rechnen, das nicht gering veranschlagt werden soll. Ein Begreifen der Kunst Wolfgang Klähns hat gerade innerhalb des Faches der Kunstgeschichte vielfältig stattgefunden. Es wurden auf sie passende Begriffe gebildet, augenfällig aber ist, daß Bekenntnisse zu ihrem hohen Rang abgelegt worden sind. Die älteste Generation, die von Klähns Bildern erreicht wurde, ist durch Hermann Bünemann, Ernst Gosebruch und Hans Jantzen vertreten, die sich mit Klähns Bildern beschäftigt haben, über sie schrieben oder sie für die eigene Sammlung erwarben.
Seit einem halben Jahrhundert entsteht die Kunst Wolfgang Klähns, und fast genauso lange wird über sie gesprochen und geschrieben. Unentdeckt ist der Künstler nie gewesen. Sein erster Förderer war der spätere Braunschweiger Ordinarius für Kunstgeschichte Martin Gosebruch, der zu Beginn seiner Laufbahn als Assistent Carl?Georg Heises an der Hamburger Kunsthalle auf den 22jährigen Maler traf. Bald entstand das Vorhaben einer Wandmalerei im Museum, für das der Direktor des Hauses, Carl?Georg Heise, gewonnen wurde. Im Katalog der Trierer Ausstellung Klähns beschreibt Gosebruch dies so: " 1952 erschien Klähn im Amtszimmer des Unterzeichneten der Hamburger Kunsthalle, gerade zu Beginn von dessen Assistentenzeit bei Carl-Georg Heise, und legte einige Bilder vor, die unverwechselbar Eigentümliches an sich trugen, ebenso wie der frei auftretende, zugleich ganz beherrschte, hochgewachsene Mensch, ihr Urheber. Dieser sah nach einem geborenen Wandmaler aus! Mehrfache Begegnung verstärkte diesen Eindruck, so daß sich nach und nach ergab, dem Maler solle eine besondere Aufgabe gestellt werden. Carl Georg Heise bewies die jugendfrische Begeisterungsfähigkeit, die seine Lübecker Jahre angesichts der Munch und Nolde so fruchtbar gemacht hatte, und erteilte Klähn den Auftrag, das Kleine Treppenhaus der Kunsthalle gemäß vorgelegter Entwurfsskizze mit einem Wandbild zu schmücken. Stifter wurden gewonnen, und bereits im Sommer 1952 stand der Maler auf seinem Gerüst im engen Schacht des Treppenhauses, um Stockwerk für Stockwerk das Bild in die Tiefe hinabzuführen. Mit welchem Jubel haben wir es begrüßt, als endlich im Herbst der hölzerne Kasten entfernt war und dem Auge ein herrlich gelungenes Werk sich darbieten konnte! Der steile Schacht mit der zu einem Oberlichtsaal durchbrochenen Seitenwand hatte hohe Sicherheit in der Raumbeherrschung vom Maler gefordert und war nun durch aufstrebende Ketten starkfarbiger Zellen auf schwarzem Grund in den Träger von Aufstiegsgeschehen ganz und gar verwandelt worden. Damals, 1953, rief GeorgMeistermann spontan aus, er habe seit dem letzten Kriege keine so gute Wandgestaltung gesehen, und Franz Roh glaubte, vor den Spuren eines Bedeutenden zu stehen. In der Hamburger Presse und Kunstöffentlichkeit freilich wurde das Bild zwiespältig aufgenommen. Die kritischen Stimmen, nach denen die Malerei zu farbenstark für den Zusammenhang des Museums sei, behielten schließlich die Oberhand, so daß nach drei Jahren die beschwingt steigenden Formketten dieses Treppenhauses durch Leinwandbespannung wieder unsichtbar gemacht worden sind. Einer späteren Zeit sollte das endgültige Urteil darüber anheimgestellt sein. Wir freuen uns jetzt schon auf die zweite Enthüllung eines Werkes, von dem wir damals zu spüren glaubten, der von der Nachkriegsgeneration zu erwartende Schritt zu einer neuen Stufe der modernen Malerei sei damit vollzogen worden."
Die Übertragung des Auftrags zur Wandmalerei im Treppenhaus des Museums war eine kühne Herausforderung an das junge Talent, das sich auf den Spuren von Klee und dem späten Kandinsky schon mit diesem Wandbild auf seinen eigenen Weg begab. Klähn hatte sich früh vorgenommen, den Geheimnissen des Lebens nachzugehen.
Nach naturwissenschaftlichen Studien war er zu dem Schluß gekommen, mit allein wissenschaftlich?positivistischer Analyse dem Thema des Lebenskreislaufs in der Schöpfung nicht nahe zu kommen. Er entschloß sich, es über das Schaffen von Kunstwerken zu versuchen. Dazu konnte er bereits begangene Wege nicht nochmals abschreiten. Es wäre seinem stets nach Neuem und Überraschendem drängenden Naturell auch nicht möglich gewesen, sich in einem gewohnten Rahmen zu bewegen. Mit diesem von Anfang an gestellten inhaltlichen Anspruch hat der Künstler den Bereich der Moderne verlassen, der bis heute von einer Entwicklung geprägt ist, die beim Impressionismus ihren Ausgang nimmt und auf vollkommene Ästhetisierung und Formalisierung setzt. Damit wurden höchst aparte Ergebnisse in der Weise der Andeutung und des Atmosphärischen erzielt, und es wurde der Weg zur Abstraktion eröffnet. Der schien im Jahr 1952 als für jeden fortschrittlichen Künstler verbindlich festzustehen. Nur einzelne Vertreter des Expressionismus führten ihren Kampf dagegen, der in jenen Jahren zwischen Karl Hofer und Will Grohmann in Bitternis für den alten Maler ablief.
Daran hat Wolfgang Klähn keinen Anteil genommen. Sein Ziel war nicht das ästhetisch oder unästhetisch?provokativ gelungene Bild, nicht die Malerei abstrakt oder traditionell voranzubringen, sondern die Entwicklung eines thematischen Anliegens, das nicht einer Anknüpfung an die ikonographische Bildtradition entsprang. In der Umsetzung seiner neuen Inhalte fand Klähn allerdings sofort zu einer hochästhetischen und in der handwerklichen Ausführung stupend subtilen Malerei. Gerade den für neu und fortschrittlich gehaltenen sezessionistischen Bewußtseinsgewohnheiten der Moderne hat allerdings die inhaltliche Stringenz seiner Kunst oft quergelegen. Schließlich gehörte dazu das Empfinden erleichternder Entlastung von der Bürde der alten geistigen Welt, die mit der Aufklärung angefochten und in der Kunst durch die akademische Malerei des letzten Jahrhunderts unglaubwürdig geworden war. War die Inhaltsleere abstrakter und informeller Malerei noch für das Geistige Kandinskys behauptet worden, bot sich zum Ende der fünfziger Jahre die Popart als Wiedergabe von banalem Alltag und Werbewelt an.
Das Hamburger Wandbild enthält konstruktive Elemente wie Dreiecke, Rauten und Sechsecke, aber auch die schwingenden Formen organischer Zellen. Diese sind zu aufsteigenden Ketten geordnet. Bereits in diesem Anfangswerk beginnt Klähn mit der überlagernden Malweise, die nicht einfach als Lasurtechnik zur Heraufführung von Körperlichkeit und Leuchtkraft in der Farbe zu benennen ist, sondern auch inhaltlich genutzt wird. Auf dem Treppenabsatz bemerkt man die Verschmelzung von Zellen, die als lebendigen Kern ein dämonisch aufleuchtendes Auge sehen läßt. Hier beginnt der Künstler den Entwicklungsgang seiner Bilder, die bis WV 9 Weltsamen (Kat.-Nr. 8) in einem Atelier in der Hamburger Kunsthalle entstehen. Das erste Bild dieser Reihe, mit dem programmatischen Titel Zeugen und Gebären im Schönen zu Geist (Kat.-Nr. 3) gibt eine Vorstellung von der Farbigkeit der Wand, deren Starkfarbigkeit (als Einwand!) in dem Streit hervorgehoben wurde, der zu ihrer bis heute andauernden Verhüllung führte. Das Bild ist als WV 1 unmittelbar nach der Wandmalerei entstanden und zeigt die sich überlagernden Zellen, die in der präzis ausgeführten Aquarellasur kostbar funkeln. Eine von außen eindringende rote Pfeilspitze wirkt auf das im Inneren einer Sichelformation balancierte Auge ein. Dieses Paul Klee verdankte Element erscheint nochmals auf Materie wird zu Körpern WV 2 (Kat.-Nr. 4) und dem Applikationsteppich von 1953 (Kat.-Nr. 10), die ebenfalls der Wand nahestehen, und verschwindet dann ebenso wie der schwarze Hintergrund, der sich mit Farbe füllt.
Das erste außerhalb der Hamburger Kunsthalle entstandene Bild Strahlendes Werden WV 10 (Kat.-Nr. 9) hat nicht mehr die in sich versammelte Grundgebärde der vorausgehenden Bilder, sondern ein Heraustreten aus dem dicht und klingend in der Farbe gemalten Kern geballter Form in peripheren Ringen, die in den Bereich reinen Leuchtens führen. Formal ist damit die Auseinandersetzung von runden und spitzen Bildelementen auf der Fläche des Rahmengevierts, die seit dem Kubismus so wesentlich die Bilder der Moderne bestimmt, außer Kraft gesetzt. Vielmehr sind es in den Bildern Klähns geschmeidigere Formen, die sich innerhalb des Bildes auseinandersetzen und nicht mehr in Spannung zur Bildbegrenzung existieren. Damit ist auch die Ausschnitthaftigkeit moderner Bilder aufgehoben. Jedes der von nun an entstehenden Werke des Malers zeigt einen in sich geschlossenen Kreis, ein Geschehen, das sich erfüllt. Das gilt ebenso für die Landschaften, auf die noch einzugehen ist.
Der Maler hatte sein Thema der Darstellung von Leben nun gepackt. Dahinter stand die Überlegung, Leben nicht mehr durch Zeichnung der Körperumrisse von außen nachzugestalten ? wie auch immer schöpferisch umformend nach Vorgabe geschichtlicher Kunst ? sondern gemäß moderner naturwissenschaftlicher Erkenntnisse von seiner kleinsten Einheit, der biologischen Zelle, her zu begreifen. Dabei geht es dem Künstler nicht um das Abzeichnen mikroskopischer Schnitte anstelle einer herkömmlichen Aktzeichnung. Vielmehr hat er es verstanden, in der Folge seiner Bilder eine Genese des Lebendigen parallel zur Natur zu bringen, ohne diese buchstäblich abzubilden. So entstehen nach den frühen Zellenbildern pflanzenhafte Formen, auf denen Grundelemente wie Gras, Erde und Wasser im Bild verwandelt anklingen (Triptychon Lebensweben 1954, Kat.-Nr. 17?19). Die sehr kraftvoll und stark in leuchtender Farbigkeit erscheinenden Bilder zeigen eigentümliche Weichheiten in der Konfiguration der Formen. Biegsam und geschmeidig, zuweilen von durchsichtigen Zellen wässrig überlagert, kommt ein sehr eigener, in der Kunst nicht vergleichlicher Charakterzug hinzu.
Dem Schritt von der Zelle zu vegetabilem Gewebe folgt die Ausbildung von Früchten, die an diesen Pflanzen entstehen. Die Bilder WV 144 Keimen muß sich Hohes erweben. Als Frucht mag's Erdengrund erstreben von 1954 (Kat.-Nr. 21), WV 148 Wagendes und währendes Leben (Kat.-Nr. 23), WV 157 Bewegendes gibt sich Raum (Kat.-Nr. 25) und WV 170 Es dränget das Leben, damit ein festes Wesen von Kraft entstehe (Kat.-Nr. 27) stehen für diese Gruppe. Diese Früchte werden als gewaltige Gebilde vorgestellt, in deren Inneres Einblick gewährt wird. Die gereifte Frucht ist auf die Erde gefallen und zerplatzt. Sie gibt ihre Schalen und damit offenkundige Kräfte frei, die sich wie tanzende Figuren ausnehmen, und sie trägt in ihrem Inneren grüne Keime neuen Lebens, die gleichzeitig ein Antlitz formen, das seltsam ernsthaft, fast schmerzlich aus dem Bild blickt.
Es zeigt sich, daß diese Bilder figurenmächtig sind, deren Bildung sich ankündigt. Der Künstler entwickelt sie aus den organischen Elementen seiner Bilder. Das soeben beschriebene Antlitz, das der zweite Blick der im Bild gestalteten Frucht ansieht, wird drei Jahre später in den Bildern ekstatischen Tanzes (Kat.-Nr. 34?46) in Gruppen von tiefdringend blickenden Gesichtern als Moment von Ruhe und Reflektion verdeutlicht. Vegetabile Formen als tanzende Figuren oder deren Vorformen sind in den früheren Bildern immer wieder zu beobachten. Als eine besonders eigentümliche Bildung findet man die Figur eines Stieres in den pflanzlichen Bildern des Jahres 1954 vorbereitet oder schon genau geformt, ohne daß der pflanzenhafte Gesamtzusammenhang unterbrochen würde. Aus der Kenntnis der ab 1959 gemalten Bilder Lebenskreisen (Kat.Nr. 46, 48, 54, 55) läßt sich der Stier in den früheren Bildern leicht ausmachen. Martin Gosebruch hat in seinem Aufsatz in Speculum Artis XV 1963 die organische Entstehung des Stiers im Werk Klähns aufgewiesen. In Lebenskreisen ist der Stier als Metapher für triebhafte Kräfte und maskuline Gewalt mit einem Pflanzenwesen und einem Vogel in gegenläufiger Anordnung zu einem Kreis gruppiert. Seiner Schwere und erdhaften Kraft ist der auffliegende Paradiesvogel (vorgebildet in Bewegendes gibt sich Raum, Kat.-Nr. 25) als Sinnbild für Geist und Phantasie gegenübergestellt.
Die schlanke, beschwingt tanzende Figur, die sich auf den pflanzlichen Bildern andeutet, bekommt in den Arbeiten des Jahres 1955 ausdrückliche Gestalt. Das Temperabild Bewegen zu Tanz sich belebt (Kat.-Nr. 28) überrascht mit einer abgetönten, erdhaften Farbigkeit, in der das schwebende und eilende Völkchen der Figuren sich fast archaisch ausnimmt. Die Reihe der Arbeiten mit pflanzlichen Formen wird in dieser Ausstellung mit dem Blühenbild von 1957 (Kat.-Nr. 33) abgeschlossen. Es zeigt als aquarellierte Federzeichnung vom Künstler ersonnene Blumen vor einer Folie großmaßstäblicher Figuren. Als wären sie aus den Blüten gesprungen, in Form und Farbe diesen gleich, tummeln sich weitere kleine Figuren steigend und stürzend auf dem anmutigen Blatt.
Figuren unterschiedlicher Maßstäblichkeit, hierarchisch geordnet, beherrschen ab 1957 das Werk, nachdem in den beiden Jahren zuvor das Nebeneinander einer pflanzenhaften Figürlichkeit mit vegetabilen Formen gestaltet worden war. Mit neuem Nachdruck treten diese Figurenbilder auf. Bezeichnenderweise entstehen 1957/58 allein fünf Triptychen, von denen drei in dieser Ausstellung zu sehen sind. Die das Bild durchmessenden Figuren sind untereinander verflochten, reich und differenziert in ihrer Gebärdensprache und müssen als solche und in der Abfolge der Bewegungen ihres Lebenstanzes genau gelesen werden. Als kleinste Figuren, diese nun pflanzenhaft mit spitz auslaufenden Gliedmaßen, tanzen und eilen ganze Armeen durch die Glieder der großen Tänzer, als gälte es, diese zu beleben.
Von der Malerei und ihrer Handwerklichkeit ist an dieser Stelle zu sprechen. Der Künstler handhabt die Aquarelltechnik wie niemand zuvor. Die in teilweise stattlichen Formaten gemalten Aquarelle werden in den Katalogen der Museen mit einigem Recht unter den Gemälden geführt, und gemäldehaft ist die Dichte und Kraft ihrer Farberscheinung. Wir haben die Differenzen zur Moderne betont, aus der Klähns Malerei doch hervorgegangen ist. Diese liegen vor allem in der eigenen Inhaltlichkeit der Bilder Klähns. Die ist aber auch vollkommen in der Malerei verkörpert, wobei die Errungenschaften der Moderne in ihren besten Möglichkeiten, nämlich farblicher Schmelz und Kraft ungegenständlicher Formen, bewahrt und weiterentwickelt sind. Die Bilder sind sehr sorgfältig mit teilweise feinen Pinseln in Schichten lasierend gemalt, was die tiefe Leuchtkraft der Originale bewirkt, da die Malschichten transparent durchscheinen. Gleichzeitig ist aber auch ein hohes Maß an Spontaneität in jedem Detail des Malstrichs und der gestalteten Figürlichkeit erkennbar. Die Technik des Aquarells erlaubt dem Künstler keine Korrekturen, er muß mit jedem Fleck auf seinem Blatt gestaltend fertigwerden. Gleichwohl beginnt er seine Bilder stets ohne einen Plan. Angesichts der komplexen Organisation der Figurenbilder könnte man glauben, er handle wie der von ihm hoch geschätzte Mozart. Dieser hatte einst an den Vater geschrieben: "Komponiert ist schon alles, es muß nur noch geschrieben werden." So ist es in dieser Malerei nicht. Zwar warnt Klähn vor einer Überbetonung des Handwerklichen, sagt dies aber aus der Position dessen, der handwerkliches Neuland betreten hat. Das feurige Temperament des Malers könnte ganz von seiner Spontaneität beherrscht sein, doch er weiß: "Intuition und Handwerk haben sich in einem jeglichen über die Mühe zu verbinden." (Augenseele, 1988, S. 14).
In den Jahren ab 1959 vermochte Klähn die Farbigkeit seiner Figurenbilder weiter zu steigern. Bezeichnenderweise sind es Themen von starker Bedrängung und Düsternis, die in der Überwindung des Dunklen in strahlenden Farben dargestellt werden (Osterbild, Kat.-Nr. 50). Ebenso sind die drei Jahrzehnte später entstandenen Auferstehungsbilder (Kat. Nr. 69, 70) zu charakterisieren. Ein komplexes, sich überlagerndes Geschehen wird um den auferstandenen Christus inmitten seiner Jünger und Propheten entfaltet.
Von nun an sind die Bilder von christlichen Stoffen erfüllt, ohne allerdings sich deshalb einer herkömmlichen Bildersprache anzunähern. Erdenleben-Lichtergeben von 1963-1966 (Kat.-Nr. 54) scheidet mit den in schräger Achse aufsteigenden Köpfen, die für Wachsen, Blühen und Frucht stehen, eine triebhaft-dämonische Welt von der des Geistes, zu der ein prachtvoll geschmückter Königskopf sehnsüchtig hinüberschaut.
Eine eigene Deutung gibt der Künstler in Anbetung von 1957 und 1976 (Kat.-Nr. 61) dem alten Thema der Anbetung der heiligen drei Könige, indem er eine Figur die Gaben hochschleudern läßt, die statt Gold, Weihrauch und Myrrhen so Elementares wie Licht und Ketten von Lebenszellen, wie sie aus den früheren Bildern bekannt sind, vorstellen.
Die den Evangelisten und den Erzvätern geltenden Bilder (Kat.Nr. 64, 65) zeigen Klähns Möglichkeiten der miniaturhaften Malerei, die an frühmittelalterliche Buchmalerei denken läßt. Der Prophet und seine Welt (Kat.-Nr. 63) wurde für die Umschlagabbildung dieser Publikation ausgewählt, weil er für die eindrucksvolle Verdichtung der späten Bilder steht, die sich in den schicksalhaft eingegrabenen Zügen dieses Gesichts darbietet. Von den Gesichtern auf den Bildern von 1957/58 über die der frühen 60er Jahre bis zu diesem Bild ist dieser Weg zu verfolgen.
Mit dem Jona von 1992/93 (WV 270, Kat.-Nr. 72) beginnt der neue Abschnitt des Spätwerks. In das Kreislaufgeschehen der Figurentänze sind die Stationen des biblischen Propheten Jona eingewoben. Das untere Drittel des Bildes wird als eine untere, unter Wasser gelegene Welt erkannt, sobald man das Schiff mit dem Propheten bemerkt hat, das bekannterweise in Seenot gerät. Unter seiner Kiellinie leben die Fische, und ganz unten ringt der Prophet seine Hände auf dem Meeresgrund. Dort hat ihn der dämonische Wal verschlungen, der ihn aus dem homerischen Gehege seiner Zähne wieder freigeben muß. Auf der anderen Seite des Bildes, parallel zum Wal, erscheint der Gekreuzigte, durchfahren von geschmeidigen Teufeln, und er ist hier recht am Platz, denn auf seinen Weg vom Kreuz in den Orkus vor seiner Himmelfahrt deutet dieser Umweg des Jona voraus. Von hier ist auch der Aufstieg von Prophet und Heiland zu verfolgen. Man sieht Jona links unter der Kürbislaube hocken und verfolgt, wie er in den Wirbel um den richtenden Christus und seine Engel hineingezogen wird.
Die nach dem Jona entstandenen Bilder zu Paulus, Noah, und dem Psalter sind in diese Ausstellung nicht einbezogen. Im Gefolge insbesondere des Psalterbildes sind die staunenswert dichten, teils wieder mehr abstrahierten Bilder aus 1998 und 1999 gemalt worden. Sie intensivieren das Thema des Lebenswegs noch einmal, da nicht nur die Parallele des Menschenwegs mit dem der gewachsenen Natur vom Aufbrechen des Keims bis zum Herabfallen der Frucht geschildert wird, sondern auch menschengemäß die Wechselbeziehung aus Sehnsucht zum Himmel und dem Herabneigen der Engel zur Erde einbezogen wird.
Es war Emile Zola, der erkannte, daß der moderne Landschaftsmaler lediglich einen Winkel der Natur darstellt, diesen aber durch sein Temperment sieht. Das Ausschnitthafte neuerer Landschaftsdarstellung, wie wir sie seit Corot und Menzel kennen, ist damit bezeichnet, und der Begriff gibt einen brauchbaren Ansatz zur Erklärung der Landschaftskunst von Cézanne bis zur "Brücke". Die deutsche Landschaftsmalerei versucht ab den 60er Jahren einen neuen Anfang. Durch den Rückgriff auf Vorbilder des 17. Jahrhunderts findet Horst Janssen zu neuer Ganzheit in seinen Naturdarstellungen. Vor allem die wie mit großen Gebärden ringenden Baumriesen haben es ihm angetan (Laokoon. Die Bäume der Annette, 1986). Klähns Landschaftsmalerei begann 1962/63 mit einigen Arbeiten im Schwarzwald, bald aber ausschließlich auf Sylt. Zunächst war er Freundesrat gefolgt, er möge doch "Brückenbilder" malen, die aus einem Bereich des Herkömmlicheren den Bogen zu den nicht leicht verständlichen Figurenbildern schlagen.
Entstanden ist dabei ein umfangreiches Werk von Landschaftsaquarellen und -zeichnungen, das von Anfang an Beobachtungen und Gedanken zum Kreislauf des Lebens in der Natur umsetzt. So faßt auf Erstes Sonnenwetter von 1963 (Kat.-Nr. 80) die aus Gischt, Licht und Dunst geformte Kugel am Horizont des Sylter Weststrands die Kräfte zusammen, die zu den Anfängen von Vegetation an Strand und Dünen führen. Das Bild hat damit bei malerisch reizvoller, übergangsreicher Ausführung eine erstaunliche Zentriertheit gewonnen. In diesen Bildern erhält der Himmel ungewohntes Gewicht. Aber sind nicht in diesem Himmel ungeheure Kräfte des Wetters verborgen, die der Maler mit seiner Schau und mit seiner Phantasie verdeutlicht? Die lasierende Aquarellmalerei sorgt auch hier für das Leuchten der Farbe, doch wird lockerer gearbeitet als in der Figurenmalerei. So finden wir strahlendes Sonnnenlicht hinter dunklen Wetterwänden hervorbrechen, glühende Himmel über kühl begrüntem Marschenland sich breiten. Es fehlt aber auch nicht das herbe Wetter aus Sturm und Regen, die das Land geradezu bürsten (Regenschauer, 1979, Kat.-Nr. 91). Auf den Blättern wird ein Pathos entfaltet, das seit dem Expressionismus nicht mehr zu sehen war, dort auch leicht ins Sentimentale und Starre abgleitet, wovor Klähn durch Temperament, Naturnähe und Instinktsicherheit bewahrt ist.
Das gilt ebenso für die Zeichnungen, die in spontan gesetzten kraftvollen und zarten Strichen der Feder oder des Pinsels Wetter und Landschaft umreißen. Immer wieder sind es auch auf den Zeichnungen Zusammenhänge des Ganzen in der Natur, die geschildert werden, wobei der Künstler nur in den frühen 60er Jahren vor Ort arbeitet. Danach werden in der Regel Beobachtungen und Natureindrücke erst im Atelier umgesetzt.
Lange hatte Wolfgang Klähn die Reihe seiner Selbstbildnisse, die ab 1949 entstanden sind, zurückgehalten. Nur selten gelangte ein Blatt in eine Sammlung oder Ausstellung. Etwas von der Intensität, dem Schmiedefeuer im Blick des Künstlers, das die Renaissance "Terribilità" nannte, spricht aus den Blättern (Kat.-Nr. 105, 106). Die Zeichnungen zu Dante werden hier durch Charon treibt die verlorenen Seelen zu Haufen von 1965 (Kat.-Nr. 113) vertreten, auf dem das Blatthafte der Figuren gemäß der von Dante gebrauchten Metapher des herabfallenden Herbstlaubs hervorgearbeitet ist.
Einen eigenen, wiederum großen Bereich im Werk nehmen die Zeichnungen zur Bibel ein. Früheste Blätter mit einem expressiv sich vom Kreuz herabneigenden Christus kennen wir aus der Anfangszeit Klähns um 1950. In den 60er Jahren kommt es zu einer größeren Reihe von Bibelblättern, doch ab 1979 kann man von einem wahren Schaffensschub sprechen. Größere Ausstellungen dieser Arbeiten haben stattgefunden, so daß im Rahmen der hier gegebenen Übersicht nur einige Blätter stellvertretend stehen. Eine der Erfindungen sei besprochen. Abraham wirft sich vor Gott in den Staub von 1983 (Kat.-Nr. 134) ist ikonographisch identisch mit Abraham und die drei Männer von 1979 (Kat.-Nr. 129). Auf dem älteren Blatt erblickt man den demütig sich vor Gott und seinen Engeln heranschiebenden Abraham, während auf dem späteren Blatt eine Person weniger dargestellt ist. Es ist aus der Perspektive Gottes aufgefaßt, dem sich der Patriarch aus der Tiefe entgegengestürzt hat. Er birgt seinen kahlen Schädel in der übergroßen Hand, während der andere Arm in die Höhe wächst, als wäre er die Feuersäule vor Mose, und die geöffnete Hand vom Engel mit Segen gefüllt erhält.
Im 20. Jahrhundert haben wir gelernt, daß der Künstler ein fein organisierter Seismograph ist, der geschichtliche Entwicklungen im Vorfeld spürt und in seinem Werk verarbeitet. Wolfgang Klähn hat die Gefährdung der Umwelt und die dem Menschen neu aufgegebene Fürsorge für eine intakte Natur in einer Zeit erkannt und formuliert, in der dies für industrie- und fortschrittsfeindlich galt und nicht gewünscht war. Die Umwelt dichtet sich zu formendem Werden lautet 1954 ein Bildtitel. Paul Klee sagt, der Künstler stehe der Natur näher. Wir haben verstanden, daß der Mensch sich von der Natur entfernt hat, zu seinem und ihrem Schaden. Der Künstler kann ein Wegweiser sein. Mit dieser Ausstellung gelangt ein Beitrag auf das Plateau der Sichtbarkeit, der früh, von keinem Trend getragen, entwickelt wurde und herangewachsen ist. Möge sich unser Erkennen daran bewähren.
Thomas Gädeke