Ort in der Zeit
Den "Künstler, den es nicht gibt", nannte ihn kaustisch Curt Schweicher im Katalog der Trierer Ausstellung von 1965; dabei hatte Klähn bereits 1952 in der Hamburger Kunsthalle ein Wandbild gemalt, dessen hoher Rang Beurteilern wie Franz Roh und Georg Meistermann sofort klar gewesen war. 1968 sprach dann Eo Plunien von einem "malerischen Ingenium" und fand es unbegreiflich, daß nur wenige seinen Namen kennen. Wie kommt es, daß Wolfgang Klähn, für den eine ganze Reihe von Kunstwissenschaftlern schon mit wissender Entschiedenheit eingetreten ist, doch das "Geschrei" nicht hat? Daß nicht einmal der Streit um ihn bis an das Geschrei kam, sondern für die Öffentlichkeit unbemerkbar unter der Decke der Expertenschaft schwelt?
Gleiches zu Gleichem, Gleiches von Gleichem. Laut muß sein, wer in der lauten öffentlichen Kunstwelt emporgehoben und davongetragen sein will. Der Horizont, vor dem heute Kunst erwartet wird, verträgt nur grelle, flüchtige Phänomene, und er gleicht damit nicht nur dem Sehbild des Autofahrers, kurze Reizausschläge innerhalb des monotonen Bandes zu registrieren, sondern wird von diesem geradezu erwirkt. Denn was auch an entlarvenden Parolen unter uns kreist, des autofahrenden Menschen Wünsche und Sichtweisen sind doch die allmächtigen. "Art-Production" ist für jeweils einige Jahre ein Verkehrsfluß mit der Herrschaft eines Modells; Verkehrsflußexperten nennen die Strukturformel dafür und pflegen die Analogien zu Tatbeständen der Soziologie; eine so vom Erfolg durchgesetzte Gleichheit, so vom Begriff durchreflektiert, gewinnt am Ende den Anschein von Einheit, an dem der akademisch belehrte Zeitgenosse "Stil" ablesen zu können vermeint. Seit der letzten Dokumenta - die Anti-Aktivitäten an den Universitäten konnten es nur verstärken -, erklärt man uns Kunst schlechthin als das Nichts von allem, was sie einstmals gewesen sein mag, am ehesten als das Gleichgültige eines Autofahrerausblicks. Wir erfahren es vom Markt wie vom Katheder, Kunst sei nicht mehr die herkömmliche, den Alltag verschönende, die Beherrschten über ihre wahre Lage täuschende, sondern Aktion, Demonstration, Lärm-Mittel, die Welt zu ändern, und vor allem anderen: Nicht-Kunst. Da die Beigeräusche des modernen Lebens sowieso für niemand überhörbar sind, werden sie auch ausdrücklich als Kunst preisgekrönt - denn, wie männiglich weiß, wir müssen endlich mit den falschen Madonnen, der erdrückenden Granitlast der Niederwalddenkmäler, der spitzen Drohung der Pickelhauben unter uns fertig werden.
Kunst aber geschieht wie je in der Stille. Ihre Macht bedarf nicht der Krallen des Plakates, man erwartet sie nicht, wo sie nicht sein kann. Nicht denjenigen, den man wiedererkennt, da er unter die Formel paßt, nehme man für den Eigentümlichen, nicht den Lockersten, der sich wie eine Gaswolke ausbreitet, für den Geprägten.
Mit "Bewegung ohne Ziel", um Wilhelm Hennis zu zitieren, heutiger Kunsttumultuarik, hat Klähn also gar nichts gemeinsam, mit dem Informel von gestern nur den allgemeinen Zug des offenbar Ungeometrischen. Als in den fünfziger Jahren Pollock hochkam, hätte Klähn damit zusammengesehen werden können, aber in Wahrheit war er anders, keiner der Nervösen, den Reiz des Zufälligen Ausspielenden, keiner der Provisorischen, die sich vom Riesenformat Größe erborgten. Auch mit Ernst Wilhelm Nay, dem begabtesten unter den deutschen Expressionisten der zweiten Generation, hat es die schon behauptete Verbindung nicht gegeben. Einen Einzelgänger in der Malerei von heute hat man ihn genannt. Über das Auge hat mich seine Kunst von Anfang an stark berührt; diese gedanklich zu durchdringen fordert meine höchste Anstrengung noch heute. Doch alles daran Erfahrene hat auf neue Weise an den Begriff von Kunst überhaupt geführt, den uns die jeden Morgen aufgeschlagene Seite des Feuilletons als schon wieder einmal überwunden darstellen möchte. Klähn, ein Einzelgänger - nicht aber der Absonderliche, vielmehr derjenige, der individuell und umfassend in einem ist. Zu jeglicher Zeit sollte das der Künstler sein.
Ort in der Geschichte
Als der 1929 Geborene auf der Hamburger Landeskunstschule 1950 zu malen begann, da war es Paul Klee unter den Künstlern des XX. Jahrhunderts, der ihn am ehesten berührt hat. Klee als der Maler, der Poesie und Intelligenz vereinigt, als der schalkhaft die Natur Belauschende, als der kritische Kopf, der das Wiederholbare der Form zwar seiner Lehrveranstaltung zugrundelegte, doch für das Eigentliche seiner Kunst nie ausgegeben hätte. Nicht dagegen, was an Klee nach Frankreich hinüberschaute und die rahmengerechte Teilung der Bildfläche im Sinne der Kubisten betraf, ging einen Klähn an, folglich auch nicht, was dem Kubismus stilgeschichtlich vorauslag, die Landschaftsmalerei der französischen Impressionisten und zumal Cézannes. Um einen Haltepunkt zu gewinnen, müßte schon bis zum frühen Cézanne zurückgegriffen werden und seinen noch vom Formengerüst freien Figurationen, aber auch die drastische Direktheit des "Wurfs" dieser vorimpressionistischen Cézannebilder hat Klähn keine Anregung gegeben. Nicht einmal Delacroix, nicht Goya kommen dafür in Betracht, so hoch der Respekt ist, den auf verschiedene Weise der Maler jedem dieser beiden zollt. Es bleibt dabei, daß außer dem Märchenerzähler Chagall nur der Klee der Mikrowelt der Natur Klähns erste Schritte begleitet, wenn auch nicht geleitet hat. Andere Einflüsse aus der modernen Kunstgeschichte sind nicht zu verzeichnen.
Dagegen ist das Denken dieses Künstlers tief und berührt sich mit Tiefen der Vergangenheit, ohne aus diesen erklärt werden zu können. Zunächst zu nennen ist die Goethezeit. Philipp Otto Runge taucht auf, der in seinen "Tageszeiten" den Weg des Lebendigen von der Geburt bis zum Tod in eine umfassend-gültige Bilderfolge bringen wollte. Hätte er nicht ungeschmolzene Reste der Renaissancemalerei übrig gelassen, vorbezeichnete Träger von Bedeutungen, so wäre ihm die "neue Landschaft" als eine religiös-symbolhaltige wohl gelungen, nach der kein Künstler des 19. Jahrhunderts mehr ausgegriffen hat. Er hätte verwirklicht, was Goethe in der Einleitung zu den Propyläen forderte und in den Preisaufgaben der Weimarer Kunstfreunde gern anerkannt hätte, doch nie zu sehen bekam: die geistisch-organische Kunst, von der nicht einmal der Namen in das Bewußtsein der Gebildeten Eingang gefunden hat. Denn die Malerei der Anthroposophen blieb zu sehr Jugendstil, als daß mit ihr jene Forderung erfüllt gewesen wäre. Ist Runge zu früh gestorben oder konnte ihm hier nur der Versuch gelingen? Wie immer das beantwortet werde, und das schwer wie ein Sargdeckel auflastende Schlagwort "Romantik" läßt nicht einmal die Frage aufkommen, Runges Versuch ist ohne unmittelbare geschichtliche Wirkung geblieben. Es mußte in der Sprache der Malerei erst alles umgeschmolzen werden, bis nach Runges Wort "jedes Wesen als Figur" auszusagen war. Fürs erste behielt Brentanos Deutung für den genialen Ausgriff des Freundes ihr Recht: "Einzelne tiefsinnige Naturen mögen wie versiegelte Brunnen in jeder Zeit stehen, aber sie handeln mit Arcanis, und der Zirkelabschnitt, den sie über ihrer Mitwelt aufspringen lassen, ist nur den Sehern und unschuldigen Kindern erquicklich ... Ich glaube nicht, daß je ein einzelner Künstler in spröder Zeit durch tiefsinnige Werke die Kunst befördern wird ..."
Eigenart und Rang von Klähns Kunst
Klähn ist ein denkender Künstler, eine "tiefsinnige Natur". Wird er also der "versiegelte Brunnen" bleiben? Diese Frage, die ich selber stelle, verneine auch ich selber. Dabei soll es nicht darauf ankommen, daß Klähn seinen Kreis von Sammlern und Kunstwissenschaftlern auch ohne das Geschrei schon hat. Denken, das versiegelt bleibt, hat die Einheit mit der sinnlichen Gestalt, mit dem Klang nicht gefunden. Runge war als Denker ungemein begabt und bildete auch die Begriffe seines Denkens; im erzählenden Wort war er sogar ein Dichter. Nur die große Synthese eines Weltgedichts, die er in der Malerei erreichen wollte, blieb ihm versagt. Dagegen treffen wir bei Klähn auf die Kraft der Ineinsbildung. Spricht er, so sind seine Gedanken Klang, und malt er, so leuchtet aus seinen Farben und Formen Sinn. Wir werden versuchen, diese Einheit zwischen Sinn und Sinnlichkeit durch den differenzierenden Begriff aufzuwiegen, indem die bloße typisierende Soseinsbeschreibung, wie sie zur Sonderung historischer Stile bei bereits anerkannten Werken der Kunst geübt wird, hier nicht ausreicht.
Dem Begriffsbildner der Wissenschaft überlegen ist der Künstler durch, die Spontankraft seines Sagens. Er braucht nicht Vorgepacktes vom Speicher zu nehmen, er hat die Schwungkraft des Temperaments, was immer seine Schau erkennt, als je neu aus sich heraus zu werfen. Diese Begeisterung ist somit in einem das Schmelzfeuer hoher Grade und die Kraft der Zeugung, Gebilde zu schaffen und aus sich heraus zu entlassen. Wie weit diese Gebilde allgemeine Bedeutung haben, hängt vom geistigen Rang des Künstlers ab. Klähn hat von seinem Schaffen gesagt, es verlebendige das Gesetz. Noch Delacroix hat es platonischer ausgedrückt und von der Einheit des Schönen-Wahren gesprochen. Lassen wir dies auf sich beruhen, so riskieren wir jedenfalls das Mißverständnis nicht, das uns Heutigen jeglicher platonische Begriff einzutragen pflegt. Das Gesetz - das Lebendige: im Bild sei die Einheit gefunden. Die Bilder Klähns halten dieser Prüfung stand.
Seine frühesten aus dem Jahr 1952 wirken in monumentaler Weise nach dem Gesetzhaften hin. Welten-rund geschlossen sind die Gebilde, aber nicht rund aus geometrischer Konstruktion, sondern sich erst in die eigene Rundheit hineingestaltend. Vom Temperament des Malers her sind es geworfene Gebilde, insofern auch Kinder dieses Jahrhunderts, das Expressionismus, Action-Painting und Heideggers Philosophie entstehen sah, von seinem Geist her ziehen sie sich in strengen Figuren wie in den Umlaufsbahnen eines Sonnensystems. Sehnliches Wachstum, so hat Walter Otto bezeichnet, was sich hier mit der Ursprungskraft der Natur entfaltet und dehnt; Wachstum, das die Vollendung der eigenen Gestalt will, so können wir es in einem mehr humanistischen Sinne benennen. Es ist das höchst-Lebendige, das Mannigfaltige, das sich selbst als Gesetzgebundenes, als Eines verwirklicht. Indem es in sein Rund wächst, bringt es sich mit all seiner Faser ins volle Licht; indem dieser Kern von Ringen umgeben ist, klingt er damit voller zusammen. Ein Ton hat umso mehr Klang, je reicher er reflektiert wird. Man lasse Abstrakt oder Nicht-Abstrakt beiseite als Warnschilder vor hoffnungsleeren Sackgassen, so ist doch unbestreitbar jedes Vereinfachen, das nicht Verdichten ist, ein Unterdrücken möglichen Klangs. Wer gäbe sich mit der Simpelei von Verkehrszeichen zufrieden und wünschte nicht vielmehr der Farben Leuchtkraft? Diese aber ist kein materielles Phänomen, das aus der Tube herauszudrücken wäre, sondern es gibt sie, wo Festes in Durchsichtigerem reflektiert wird, und sie steigert sich, je mannigfaltiger das Gefüge der Reflektion wird. Die Leuchtkraft dieser in Schichten übereinanderlasierten Wasserfarben der frühen Bilder Klähns ist unvergleichlich. Man denke, welch anderen Weg zuvor Nolde mit seiner auslaufenden Aquarellfarbe gegangen war, und weiche Selbstzucht es bedeutet, diesen Weg der Verführung nicht zu gehen!
Geistisch-organische Bilder, ein besseres Wort könnten wir nicht ersinnen. An ihnen ist auch die spezifische Thematik im Einklang mit Goethe, von dem sie nur gar nicht zur Leihe genommen ist. Denn des Samenkornes Brechen, Sich-Ausfasern, um Licht anzusaugen, Sich-Runden zur Gestalt bestätigt, was der Ältere das Gesetz der Metamorphose genannt hat. Das Besondere an diesen frühen Bildern liegt an der Betonung der umfassenden Einheit, und daß die Gestaltenfülle der Metamorphose dieser Einheit belebendes Innen ist.
Hat man dieses innere Leben und Weben solch kugelhafter Geschlossenheit, wie es die Bildergruppe von 1952-53 auszeichnet, verstanden, so wird man nicht überrascht sein, drei Jahre später die Bilder durch animalische oder menschliche Figuren belebt zu finden. Diese Figuren verhalten sich zu den Blattformen der vegetativen Frühgruppe wie deren auf die nächsthöhere Stufe angehobene, verwandelte Gestalteinheit. Die Jahre des Informel liefen nicht ab, ohne daß der Ruf nach der "neuen Figur" zu hören gewesen wäre - wer aber hat wie Klähn die Figur auf dem eigenen Grund und Boden emporgezogen, so daß sie das Eine und Mannigfaltige ist und nicht bloß die Antithese zur Nichtfigur?
Die Mannigfaltigkeit des Organischen, die schon den kleinsten Elementen der vegetativen Bilder zugrundelag, ist bei den Figuren der mittleren Gruppe in gesteigerten Charakteren ausgespielt, so daß die Qualitäten des Menschenbildes daran gesehen werden können. Es gibt den Gesamtleib in biegsamer Form, es gibt Bein und Arm, es gibt Fuß und Hand, Kopf und Gesicht. Aber weder im Sinne der antiken Statue setzt sich diese Vielfalt kontrapostisch zusammen noch im Sinne des expressionistischen Picasso aggressiv-spitzenstrebig. Die Figur verwirklicht ein ihr in je spezifischer Weise eigenes Maß an tänzerischer Bewegung innerhalb eines sie umfassenden Tanzes der größeren Figurenfamilie. Um aber zu erklären, was es mit solcher Bewegtheit auf sich habe, erledigen wir zuerst, daß sie sich nicht dekorativ auf das Rahmengeviert beziehe. Die bewegte Figur schließt sich zu einem Kreis im tieferen Sinne, also zu einer Ganzheit, und auch im Sinne der Form, denn Bogen schlagen sich um sie herum, und erklären sie nun als einer Zelleneinheit zugehörig. Es bilden sich diese Bogen aus gebeugten Armen oder Beinen anderer Figuren, die durch die Gliedmaßen der eigenen fortgesetzt werden, so daß ein höchst komplexes Spiel der Verflechtung alte vereinigt, bis eine Hauptfigur mit den Bogen ihrer ausschwingenden Arme und dem Auf- und Abstieg ihrer Beine diese figürliche Vielfalt endgültig umgreift und beschließt. Aber nicht ornamentale Verflechtung wie beim Jugendstil liegt vor. Dazu sind die Phasen des Tanzes für jede Figur zu prägnant charakterisiert und das sehnliche Wachsen aller auf die Erfüllungsphase hin ist zu durchgehend dominant, als daß es ein gleichgültiges Nebeneinander gäbe. Und blicken wir genauer auf den Tanz der einzelnen Figur, so enthüllt auch an ihm ein Gesetz sich verlebendigt: Steigen und Fallen ist es, was in jeder Figur geschieht, ob es die beginnenden, antretenden sind, die sich vereinenden oder die alle umgreifenden. Das erst ergibt den Rhythmus dieses Tanzes und macht die Beziehungen unter den Figuren so mannigfaltig. Das Steigen und Fallen oder "Streben und Beugen", wie es in einem Bild ausdrücklich heißt, kann nicht "literarisch" hinzugedacht sein, es ist die thematisch geordnete Lebendigkeit dieser Tänze als Abbild der thematisch geordneten Lebendigkeit des Künstlers selber. Diese Doppeldimension macht noch aus kleinsten Einheiten wie Händen rhythmisch prägnant bewegte Form, sie setzt Gliedmaßen in ein Wechselspiel von Drängen und Schwingen, sie ordnet die Ekstatik der umfassenden Figur in der Erfüllungsphase.
Noch aber war von Köpfen nicht die Rede. Dabei gehören sie nicht nur zur Einzelgestalt, soweit sie das Bild eines Menschen ist, sondern über die Einheit der Figurenfamilie hin schließen sich die Köpfe zu einem rhythmischen Verband wie die tanzenden Gliedmaßen zu dem ihren. Je genauer man sich in die Bilder hineinsieht, desto deutlicher wird, daß das Eine des Ganzen das Gesichthaft-Sehende und das Leibhaft-Tanzende als zwei Seiten Desselben umfaßt. So fest die Köpfe in Gruppen den Figuren zugrundegebaut sind und so bezwingend klar die Augen durch das Geflecht blicken, so frei, gelöst, mozartisch-anmutsvoll ist der Tanz, den die Leiber ausführen. Eines ist vom anderen nicht zu trennen. Erkennen und Liebe sind hier in Einheit, Gebundenheit und Freiheit fallen nicht auseinander.
Auf die Bilder der mittleren Gruppe folgen die der dritten, ab Ende der fünfziger Jahre entstandenen, deren Vorzeichen durch die sechziger Jahre regieren. In den Titeln wie in ihrer Physiognomie zeigt die religiöse Dimension sich ganz deutlich, wenngleich schon die frühe, "geistisch-organisch" genannte Gruppe nicht als vitalistisch mißverstanden werden wird. Mehr noch als mit seinen früheren Bildern ist aber der Künstler mit diesen unerhört reich angelegten der Reifezeit über das zeitgenössische Bewußtsein hinausgegangen, so daß auch der ahnende Betrachter einen erheblichen Weg zurücklegen muß, bis er diese Bilder durchdringend versteht. Viel müßte vor allem der Farbigkeit entnommen werden, deren Strahlungskraft in Höhen und Tiefen gewaltig gesteigert ist und deren rhythmisches Bezugssystem so aussagehaltig wird. Dazu der prangende Schmuck, der aus ganz neuem Füllhorn überschwenglich ausgeschüttet wird. Allein von daher wirkt ein Bild im Vergleich mit den Vorgängern wie der Schmetterling erlesenster Form, zu dem die Puppe sich verwandelte.
Aber der Ästhetenblick, der hier nur die seltensten exotischen Vögel zu bestaunen fände, dränge nicht tief genug. Starke Hymnen über Erde und Himmel sind in diesen Bildern angestimmt. Das kreatürliche Leben von Geburt, Wachsen und Liebe wird mächtig gelebt, da es "sehend wird vor dem Ganzen", wie Klähn es in früheren Jahren einmal ausgedrückt hat, - die symbolische Königsfigur, die alles umfaßt und deren Blick alle Leiden und alle Freuden enthält, ist dieses Sehendwerdens Inbegriff und des unsichtbaren Ganzen, des Allesumfassenden lebendiges Ingebilde. Oberall sind es Hände, die wachsen, anregen, verbinden als tätiges Symbol der Liebe, überall sind es Augen, die in solchem Fließen Lichtpole bilden. Ja, unendliche Sehnsucht nach dem Licht ist es, die diese Leiber tanzen macht, und die lichten Kronen des Lebens sind es, die der "getreu bis in den Tod" bewährten Sehnsucht verliehen werden.
Besingen diese Bilder das Kreatürliche voller und das Himmlische sternenhafter, so läßt sich aus so verdichtetem Stamm des Klähnschen Schaffens noch ein weiteres Paar von Zweigen verstehen, das durch die Illustrationen zur Göttlichen Komödie Dantes einerseits und die Federzeichnungen und Aquarelle von der Insel Sylt andererseits ausgemacht wird. Übergängliches, das sein Bleibendes sucht, ist hier wie dort dargestellt. Der felsige Schauplatz der Wanderung durch Hölle und Himmel gibt den festen Kontrapunkt, gegen den die Figur sich ausnimmt wie das vom Sturm gewirbelte Blatt und doch mit Steigen und Fall ihre Kreisbahn schreitet; das Spiel von Wetter und Wind über den Schwüngen von Düne und Halm vollzieht sich nach dem Gesetz, daß Unteres und Oberes einander suchen. Vom Natürlichen und zugleich Übernatürlichen hatte die Einleitung in die Propyläen gesprochen.
Sehend werden vor dem Ganzen. Das Wort fällt mit Gewicht unter die Geister, die sich daran scheiden werden. Die Bilder enthalten aber seine neue Wahrheit und für manche Schlußfolgerungen auf unser privates wie gesellschaftliches Dasein bieten sie die substanzielle Voraussetzung. Die Unruhe unserer Tage ob nötiger Erneuerung wird folgenlos oder überhaupt destruktiv ausgehen, wenn dem Menschen das Bild des Ganzen weiterhin vorenthalten wird. Die sich geschichtlich wandelnden gesellschaftlichen Formationen machen dieses Ganze nicht aus, der Mensch erlebt anderes und mehr als seinen sozialen Ort unterhalb von diesem und oberhalb von jenem. Von Änderung der Weit zu sprechen und das Bild des Ganzen, sein Gesetz nicht zu kennen! Ohne Liebe und ohne Geist zu handeln hieße das. Wer nicht selber sehend werden will, und das ist ein langer Weg, der lasse ab, die anderen in die Veränderung zu stoßen.
Denken wir nun an die Frage des Ausgangs zurück, so ist uns noch gewisser: aus diesem Brunnen fließt es. An uns ist es, dieses Wasser aufzufangen.
Martin Gosebruch